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VI. Hemmungen griechischer Ausbreitung.
Der fortgeschritteneren Zeit entsprechend wurden diese Kolonial¬
gründungen auch geregelter durchgeführt wie früher. Der Zusammen¬
hang zwischen Mutter- und Tochterstadt war jetzt fester; die
gesamten Rechtseinrichtungen, die um 800-600 vielgestaltiger durch¬
gebildet waren als um 1200, nahm man mit in die neue Äeimat, so
die Verwaltungsformen. Auch die schöne Sitte des Gastrechts
verband die Bürger gegenseitig. Mutter- und Tochterstädte halfen
einander in Kriegs- und Teuerungszeiten und trieben unter sich
regen Äandel.
Vi. Hemmungen griechischer Ausbreitung.
Auf dem Ägäischen Meer im Norden und im Westen hatten
sich die Griechen ausbreiten können, ohne nennenswerte Widerstände
zu finden. Anders war es schon an der kleinasiatischen Westküste:
Im Linterlande regierten mächtige Könige über große Reiche (Lydien,
Assyrien, Babylonien, Persien). Ihre dichte Bevölkerung übte zahl¬
reiche fruchtbare Einflüsse auf die Griechen, aber ein tieferes Ein¬
dringen in den Osten war unmöglich. Auch die Küstenstriche
Phöniziens und Palästinas blieben ihrer Kolonisationstätigkeit ver¬
schlossen. Dagegen setzten sich in Ägypten zahlreiche Griechen fest.
Das uralte, dichtbevölkerte Kulturbecken des Nillandes lockte
schon in früher Zeit zu Raubfahrten, aus denen sich Handels¬
beziehungen entwickelten. Am 600 gründeten sie, um den langen
Meerweg zu kürzen oder leichter zu überwinden, die über Kreta leicht
erreichbare Zwischenstation Kyrene, von wo aus Karawanenstraßen
oder Küstenfahrten zum Ziele führten. Taufende von Griechen traten
sogar in ägyptischen Sold, und die tapferen Nachkommen der Troja¬
kämpfer bildeten lange Zeit hindurch die Kerntruppen der Pharaonen.
Mit ihnen erwehrten sich diese der Assyrer und Babylonier, denen
Palästina erlag. Dadurch wurden auch die Handelsbeziehungen
zwischen der ägyptischen und der griechischen Welt immer reger, und
die griechische Kolonie Naukratis blühte zur ersten Handels- und
Hafenstadt des Nildeltas empor. Unter Alexander dem Großen
wurde das Land wirklich hellemsiert
Der gefährlichste Äandelsrivale der Griechen war das an der
Küste Syriens wohnhafte semitische Volk der Phönizier mit
seinen großen Handelsstädten Tyrus und Sidon. Die der Bibel als
kühne Seefahrer und Händler bekannten Phönizier durchfuhren an¬
geblich das Rote Meer nach dem Goldlande Ophir. Im gesamten
Ägäischen Meer waren im homerischen Zeitalter phönizische Seeräuber
und Händler wie daheim. Sie vermittelten den Griechen die