O'Connell ins Parlament gewählt. Emanzipationsbill.
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sich im ganzen, alle Zwiste und Parteiungen waren vergessen, der Wille aller war auf ein
Ziel, auf die Emanzipation gerichtet. Seine Entstehung verdankte der Verein neben Sh eil,
der die Sache der Irländer durch die große Macht seiner Beredsamkeit förderte, Daniel
O'Connell, der bald die Seele des großen Unternehmens wurde. Mit dem erfinderischen
Scharfblicke des geübtesten Advokaten wußte er alle Schwierigkeiten zu überwinden, welche
England dem Verein, der ihm ein stechender Dorn im Ange war, entgegenstellte. Seine
Ausdauer war wie seine Erfindungsgabe unbesiegbar; hundertmal niedergeworfen und ge¬
schlagen, erhob er sich hundertmal von neuem und mit erhöhtem Ansehen. Politische Be¬
wegungen und Stürme verzehren die hervorragenden politischen Charaktere; O'Connell, wenn
seine Arme sanken, wenn der Zauber seines Namens ihn verließ, kehrte nach Irland zurück,
stürzte sich tu die Wogen der irischen Bevölkerung und tauchte jedesmal erfrischt und neu¬
gestärkt wieder aus. Gebieter über den katholischen Verein und dadurch über Irland, frei
uud unabhängig durch die katholische Rente, verstärkte er seine Macht, indem er sich an die
Dissenters wandte. „Weil Ihr ehrlich seid," sprach er zu ihnen, „weil Ihr nicht schwören
wollt, daß Ihr glaubt, was Ihr nicht glaubt, deshalb beraubt man Euch Eurer bürgerlichen
Rechte. Wir sind in derselben Lage; wohlan, machen wir gemeinschaftliche Sache!"
Es war nicht schwer, ein Volk von sieben Millionen aufzuregen und anf ein Ziel
hinzulenken; aber unvergleichlich schwieriger war es, die aufgeregten und empörten Massen
im Zaume zu halten. O'Connell wühlte das Meer in seinen tiefsten Tiefen auf, und wäh¬
rend sich die empörten Wogen immer höher und höher türmten, während seine Feinde, die
Epigonen des Pharao, fürchteten, mit Roß und Wagen jeden Augenblick vou ihnen ver¬
schlungen zu werden, fesselte O'Connell wie Moses den Sturm, indem er seinen Arm aus¬
streckte und die Meereswogen zum Stehen brachte. In dieser drohenden Stellung erblickte
man ihn 1829, als Robert Peel und Wellington, der Sieger von Waterloo, sich der Not¬
wendigkeit beugten, als das Parlament die Emanzipation der Katholiken aussprach.
Im Jahre 1825 wurde O'Connell Gelegenheit gegeben, vor einem Unterhauskomitee
die Klagen und Leiden seiner Landsleute offen darzulegen. Wenige Jahre darauf (1828)
wurde er selbst ins Parlament gewählt. Nun glaubte das Tvryministerium Wellington-
Peel um so mehr zugunsten der Katholiken auftreten zu müssen, als es sich den billiger
denkenden Whigs gegenüber am Ruder behaupten wollte; Peels Beredsamkeit verschaffte der
Emanzipationsbill den Sieg im Unterhause. Wellington verteidigte sie im Oberhause
(1829), am 13. April erhielt sie die königliche Sanktion. Die Katholiken erhielten das Recht,
ins Parlament gewählt zu werden und an dem Staatsdienste teilzunehmen, indem ein an¬
derer, dem katholischen Glauben nicht widersprechender Staatsbürgereid verlangt wurde.1)
Das hatte O'Connell für die Katholiken des ganzen Königreiches erkämpft. Nach
diesem Siege war und blieb die Lage Irlands das Ziel seines Strebens. Der erstrittenen
Emanzipation sollte nach der wohlwollenden Absicht der Regierung eine Reform der prote¬
stantischen Kirche Irlands folgen. Ruffel fetzte es im Jahre 1835 im Unterhaufe durch, daß
eine Anzahl Bistümer und reicher Pfründen in Irland aufgehoben und der Überschuß von
ben wahren Bedürfnissen ber Staatskirche für ben katholischen Volksnnterricht verweubet
werbe. Das Oberhaus verwarf bies „als einen Raub am Altare". Von nun an arbeitete
Doch glaube man nicht, daß nun die politische Gleichstellung der Katholiken mit den Protestanten
eine vollkommene war. Katholiken blieben auch jetzt ausgeschlossen von der Regentschaft, von den Ämtern
des Lordgroßkanzlers, des Lordstatthalters von Irland, hatten nicht das Recht als Gemeindevorsteher zu
geistlichen Pfründen zu präsentieren, konnten an Universitäten kein Amt bekleiden usw. Erst 1869 erfolgte
durch Parlamentsbeschluß die Aufhebung der anglo-irischen Staatskirche.