Treitschke: Die Schlacht bei Belle-Alliance 233 
seine Truppen wohlverdeckt in und hinter dem Walde von Frichemont an¬ 
treten: erst wenn eine genügende Macht zur Stelle war, sollte der über¬ 
raschende Vorstoß erfolgen. In tiefem Schweigen rückten die Regimenter in 
ihre Stellungen ein; die Generale hielten am Rande des Waldes und ver¬ 
folgten mit gespaunten Blicken den Gang der Schlacht. Als einer der 
Offiziere meinte, der Feind werde nun wohl von den Engländern ab¬ 
lassen und, um sich den Rückzug zu sichern, seine Hauptmacht gegen die 
Preußen werfen, da erwiderte Gneifenau: „Sie kennen Napoleon schlecht. 
Er wird gerade jetzt um jeden Preis die englische Schlachtlinie zu zer¬ 
sprengen suchen und gegen uns nur das Notwendige verwenden." 
Und so geschah es. Noch ehe die Preußen bei dem Walde von 
Frichemont anlangten, zwischen 3 und 4 Uhr, hatte der zweite große 
Angriff der Franzosen begonnen. Ney sprengte mit vierzehn Regimentern 
schwerer Reiterei auf der Westseite der Landstraße gegen die Vierecke der 
englischen Garde und der Division Alten im Centrum heran. Lange 
wogte der Kampf unentschieden hin und her, aber das Fußvolk hielt 
unerschütterlich aus. Endlich zurückgeworfen, zog Ney auch die Kavallerie 
Kellermanns an sich, so daß er jetzt sechsuudzwanzig Reiterregimenter zu 
erneutem Angriff heranführte, die größte Reitermasse, welche dieses kriege¬ 
rische Zeitalter jemals an einer Stelle thätig gesehen hatte. Der Boden 
dröhnte von dem Hufschlag von zehntausend Pferden, ein Wald von 
Säbeln und Lanzen bedeckte die Thalmulde, stundenlang schwankte das 
Gefecht, zehn-, zwölfmal ward die Attake gegen einzelne Bataillone er¬ 
neuert. Nochmals behielt die Standhaftigkeit des englischen und deutschen 
Fußvolks die Oberhand. Auch dieser Angriff scheiterte, die Schwadronen 
begannen zu weichen, ein kühnes Vorgehen der englischen und hannover¬ 
schen Reservereiterei brachte sie vollends in Verwirrung; aber auch die 
Sieger fühlten sich tief erschöpft. Auf den anderen Teilen des Schlacht¬ 
feldes gestaltete sich unterdessen der Gang der Ereignisse weit günstiger 
für Napoleon. Die Division Quiot, die schon an dem großen Angriffe 
Erlons teilgenommen, ging von neuem aus der Landstraße vor und be¬ 
stürmte die Meierei von Lcl Haye Sainte. Dort stand Major Baring 
mit einem Bataillon von der leichtert Infanterie der deutschen Legion 
und einigen Nassauern. Die grünen Jäger hatten schon um Mittag die 
Schlachthaufen Erlons abgeschlagen; die treuen Männer hingen mit 
ganzem Herzen an ihren Offizieren, alle bis zum letzten Gemeinen zeigten 
sich entschlossen, von diesem Ehrenposten nimmermehr zu weichen. Und 
welche Aufgabe jetzt! Schon brannten die Dächer des Gehöftes, die 
einen mußten löschen, die anderen führten aus den Fenstern, hinter den 
Hecken und Mauern des Gartens das Feuergefecht gegen die furchtbare 
Übermacht draußen. Pulver und Blei gingen aus. Vergeblich sandte 
Baring wiederholt feine Boten rückwärts nach Mont St. Jean mit der
	        
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