Treitschke: Friedrich Wilhelm IV. 255
empfunden. Im Hause der Hohenzollern war seit den Tagen Georg
Wilhelms und des großen Kurfürsten noch nie ein Thronfolger mit dem
Herrscher ganz eines Sinnes gewesen; und wie weit erschien wieder der
Abstand zwischen alter und neuer Zeit in dem Könige Friedrich Wilhelm III.
und dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm: dort der unscheinbare nüchterne
König, der trotz seiner innigen Frömmigkeit doch mit seiner ganzen Welt¬
anschauung in der Verstandesanfklärnng des alten Jahrhunderts wurzelte,
hier sprühend von Geist und Witz der enthusiastische Jünger der Romantik.
Unter den ritterlichen Königssöhnen, deren „Lebensfülle, Mut und
Hoheit" der junge Heinrich Heine in seinen Berliner Briefen nicht genug
bewundern konnte, schien dieser älteste doch den Preis zu verdienen. Alle
Welt nannte ihn den geistreichsten Prinzen Eurovas, und sein Lehrer
Niebuhr hoffte, mit ihm werde eine schönere Zeit über Deutschland
kommen und die Vollendung dessen, was heute noch unfertig und unvoll¬
kommen sei. Blendend, unwiderstehlich erschien er in der Unterhaltung,
zumal in seinen Jugendtagen, da er noch unverbittert, dankbar und em¬
pfänglich alles in sich aufnahm, was nur die Erde an Schönem und
Gutem trug; kein Gebiet des Wissens war ihm fremd, alle Höhen und
Tiefen des Lebens berührte er mit beredten Worten, immer geistvoll,
immer eigentümlich. Wenn er in öffentlicher Versammlung sprach, dann
bezauberte er alle, ein geborener Redner, durch den Wohllaut seiner hellen
Stimme, durch den Schwnng seiner Gedanken und den Adel einer form¬
vollendeten Sprache. Sein Humor bewegte sich im bitteren Sarkasmus
ebenso frei wie im harmlosen Spaße, und schon damals pflegten die
Berliner jeden guten Witz, der in der Stadt umlief, dem Kronprinzen
zuzuschreiben. Bei den Sommerfesten auf der Pfaueninsel konnte er
noch ganz fo unbändig, in kindlichem Frohsinn mit den Geschwistern
tollen und toben wie einst, da er sich in dem kleinen Garten zu Memel
mit dem jungen Argelauder gerauft hatte. Vor den Fremden zeigte er
ein starkes persönliches Selbstgefühl, ein lebendiges Bewußtfein seiner
königlichen Würde, weiche Naturen fühlten sich ganz bewältigt von der
kühnen Sicherheit feines Auftretens. Wenn er aber einer gleichgestimmten
Seele sein Herz erschloß, dann rauschten die Bekenntnisse von seinen
Lippen, ein mächtiger Strom der Liebe, der Frömmigkeit, der Be¬
geisterung. Wie jubelte Bunsen über den Reichtum dieses „königlichen
und kindlichen Gemüts", da er mit dem Prinzen einige Tage lang allein
durch Italien gereist war. Als Gras Grüben, der neu ernannte General¬
stabschef des Kronprinzen, seinen Dienst antrat, setzte sich der Prinz mit
ihm an einem schönen Sommerabend zu Charlottenburg in den Wagen,
und als man früh um fünf Uhr in Königsberg i. N. hielt, hatte das
Gespräch noch nicht einen Augenblick gestockt, der neue Begleiter war
seinem jungen Herrn für das ganze Leben gewonnen.