2 Neuere Zeit.
Renaissance, d. H. der Wiedergeburt, nämlich des Altertums in Kunst,
Wissenschaft und Leben, und dem des Humanismus, der „Menschheits¬
bildung", der vollkommenen Entfaltung der innerlichen und äußerlichen
Fähigkeiten und Fertigkeiten des Menschen.
Nachdem die Blütezeit der Renaissance in Italien zu Ende gegangen,
„scheint es", wie der Italiener Paulus Jovins (1483 — 1552) in den
Schlußworten seiner elogia illustrium virorum sagt, „durch den Wechsel
der Gestirne geschehen zu sein, daß jener eiskalte Nordhimmel Deutsch¬
lands die einst dort trägen und rohen Geister gemildert und erregt hat.
Sie begnügen sich nicht mehr mit dem alten Kriegsruhm, der festen Dis¬
ziplin und der trotzigen Kraft, durch welche sie die Ehre des Mars den
Römern entrissen haben, sondern auch die Zierden des Friedens, die
Wissenschaft und die Blüte der Kunst haben sie dem ausgebrannten
Griechenland und dem entschlafenen Italien
geraubt. Denn noch zu unserer Väter
Zeiten wurden zuerst Baumeister, dann
Maler, Bildhauer, Mathematiker, geschickte
Handwerker, Brunnenmeister und Feld-
messer aus Deutschland geholt. Kein
Wunder, da sie uns die wunderbare Er¬
findung des Buchdruckes und die schreck¬
lichen Geschütze von Erz gebracht haben."
Fast in jeder Beziehung war das „bar¬
barische Deutschland" der Erbe Italiens
geworden.
Im Jahre 1482 trat zu Rom in den
Hörsaal des Joh. Argyropulos, eines um
die Wiederbelebung hellenischer Kultur in
Italien hochverdienten Griechen, mitten hinein in die glänzende Versamm¬
lung lernbegieriger Großen ein junger Deutscher, Johannes Reuchlin.
Er gab in wohlgesetzten Worten sein Begehren kund, von dem Meister zu
lernen, erklärte auf Befragen, daß er der griechischen Sprache nicht ganz
unkundig sei, und begann ohne Zögern eine Stelle des Thucydides zu lesen
und zu übersetzen, welche der Lehrer ihm bezeichnet hatte. Als er seine
Aufgabe trefflich beendet und statt der Beschämung, welche ihm zugedacht
war, sich einen Triumph bereitet hatte, rief der Lehrer klagend aus: „O weh!
Durch unsere Verbannung ist Griechenland über die Alpen geflogen!"
Wenige Jahrzehnte früher hatte das Urteil über Deutschland und
die Deutschen ganz anders gelautet. Damals war Eneo Silvio, den
man als den ersten Apostel des Humanismus in Deutschland bezeichnen
kann, durch seine jahrelang erfolglos versuchte Propaganda ermüdet
und erbittert, zu einer grimmigen Verurteilung der Fürsten wegen ihrer
Johannes Reuchlin. 1455—1522.