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56. Osterzerl.
Um des Volkes Seele.
1. Nun blühn die Primeln in den
Gründen,
Es sproßt der Klee auf Feld und Rain,
Und alle Waldessänger künden
Es laut in Licht und Sonnenschein:
„Wacht auf, ihr Herzen, weit und breit,
Denn es ist Auferstehungszeit!"
2. Da bin ich auf den Berg gestiegen
Und lugte weit hinaus ins Land.
Froh ließ ich meine Blicke fliegen
Vom Osning bis zum Weserstrand.
Rings prangt die Flur im grünen Kleid,
Denn es ist Auserstehungszeit!
Von MUketni Milrns.
Berlin 1903. 8. 44.
3. Hoch oben zieht in blauen
Lüften
Ein Kranichheer im Winkelreih'n;
Tief unten Hüpfen auf den Triften
Die Lämmer über Stock und Stein.
Und alle Welt vergißt ihr Leid,
Denn es ist Auferstehuugszeit!
4. Im Tale hör' ich Glocken klingen,
Wie Heller Jubel schallt's empor.
Mir ist, als hört' ich Engel singen
Ein Osterlied im höhern Chor:
„Wach auf, du weite Christenheit,
Denn es ist Auferstehungszeit!"
57. Husfabrt.
Gaudeamus. 37. Auflage.
1. Berggipfel erglühen,
Waldwipfel erblühen,
Vom Lenzhauch geschwellt;
Zugvogel mit Singen
Erhebt seine Schwingen,
Ich fahr' in die Welt.
Von Viktor von Scheffel.
Stuttgart 1881. 8. 115.
2. Mir ist znm Geleite
In lichtgoldnem Kleide
Frau Sonne bestellt;
Sie wirft meinen Schatten
Auf blumige Matten,
Ich fahr' in die Welt.
3. Mein Hutschmuck die Rose,
Mein Lager im Moose,
Der Himmel mein Zelt:
Mag lauern und trauern,
Wer will, hinter Mauern,
Ich fahr' in die Welt!
58. iDlttag. Von Cheodor fontane.
Gedichte. 9. Auflage. Stuttgart u. Berlin 1902. 8. 15.
1. Am Waldessäume träumt die Föhre,
Am Himmel weiße Wölkchen nur;
Es ist so still, daß ich sie höre
Die tiefe Stille der Natur.
2. Rings Sonnenschein auf Wies' und Wegen,
Die Wipfel stumm, kein Lüftchen wach,
Und doch, es klingt, als ström' ein Regen
Leis tönend auf das Blütterdach.