Full text: [Teil 5 = (9. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 5 = (9. Schuljahr), [Schülerband])

Ganz deutlich aber hat man den Turnierritt vor Augen bei Redens⸗ 
arten mit Lanze und Sattel, die gleichfalls noch völlig lebendig sind. 
Besonders eine Lanze brechen für einen oder etwas ist beliebt, auch für 
eine Sache eine Lanze einlegen. Wie man vor dem Kitt die eingerichtete 
Waffe in die rechte Lage an der hüfte brachte, darauf kam viel an. Ganz 
deutlich blieb auch das Bild vom unterliegenden Gegner — er kam ja 
wirklich unten zu liegen —, von dem man noch sagt, er sei aus dem Sattel 
gehoben und auf den Sand gesetzt. Auch vom Visier ist noch gern die 
Rede, besonders in gewissem Zeitungsdeutsch, wo einer „mit offenem oder 
geschlossenem Visier“ kämpft, d. h. seinen Namen nennt oder nicht. 
Altes anziehendes Leben führt auch die Redensart mit sich zu Rate 
gehn anschaulich vor Augen. Diese Wendung gehört noch jetzt hauptsächlich 
in das parlamentarische Leben, das in unsrer Vorzeit, als die Schreib— 
stuben noch nicht alles öffentliche Leben in Pacht genommen hatten, 
reich entwickelt war mit einer ebenso entwickelten Kunstsprache. Die 
Wendung geht eigentlich auf den herrn, der in allen wichtigern Fällen 
mit seinen Magen und Mannen ze rate, zur Beratung, ging; wie er 
denn nichts Wichtiges tat als nach und gemäß einer Beratung mit den 
Seinen. Man sieht im Geiste die Mannen und den herrn über den Burg— 
hof gehen, um sich etwa im Saal zu versammeln. Aber mit sich heißt es 
jetzt, d. h. eigentlich „mit seinen Gedanken zu Rate gehen“; an die Stelle 
der Mannen sind die Gedanken getreten. Diese Vorstellung lebt noch 
jetzt ganz deutlich mit hübschem humor in der Redensart „seinen Ge— 
danken Audienz geben“, wie wenn ein herr sich herbeiläßt, seine Diener 
anzuhören, „mit ihnen zu Rate zu gehen“. 
Tinen Beweis, bis zu welchem geradezu wunderbaren Altertum 
sprachliche Dinge von heute hinaufgreifen können, bietet unter andern 
Buchstabe dar. 
Wir haben aus der ältesten Zeit, aus der uns überhaupt deutliche 
Nachrichten von unsern Vorfahren zugekommen sind, bei Tacitus einen 
Bericht über die Art, wie man damals die Götter um ihren Willen fragte. 
Der Priester, wo es sich um eine Gemeindesache handelte, in häuslichen 
Dingen aber der hausvater, der ja im hause eine Art Priesterstellung 
hatte, schnitt einen Z5weig, von einem Fruchtbaum genommen, in Stück⸗ 
chen, die er mit gewissen Zeichen versah, jedes mit einem andern, schüttete 
sie auf ein reines Tuch und nahm sie dann aufs Geratewohl einzeln auf, 
je drei auf einmal. Die Zusammenstellung, die sich da durch den Zufall 
ergab, und ihre Ausdeutung wurde als Erklärung des göttlichen Willens 
angesehen. 
Da haben wir denn in dem Bericht des Römers ganz deutlich die 
Vvorfahren und Anfänge unserer Buchstaben. Auch das Wort darf man 
der Zeit des Berichtes schon zutrauen, ja man darf es sich wohl noch 
älter, mit der Sache selbst entstanden denken. Bezeugt ist es begreiflicher— 
weise erst um Jahrhunderte später. Die Zeichen, die zu deuten waren,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.