Full text: Erdkundliches Lesebuch für die Oberstufe höherer Lehranstalten und Seminare

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B. Zur Länderkunde, 
Je mehr wir uns der Residenz des Sultans näherten, desto größer wurde die 
Zahl der der Expedition voranmarschierenden Watnssi. Wir wurden gewahr, daß 
sich der Sultan zu einem großen Empfange vorbereitete. In allen Dörfern fehlten 
die Watnales, und auf die Frage nach ihrem Aufenthalt nannte man Nianfa. Ver- 
pflegnngskarawanen und Kleinviehherden, von Watnssi geführt, die man überall das 
Land durchstreifen sah, hatten dasselbe Ziel. Der Sultan schien also alle Großen 
seines Reiches in seine Residenz berufen zu haben. Viele näherten sich uns nnd 
setzten sich an die Spitze unserer Karawane. Wenn sie sich dort trafen, so begrüßten 
sie sich, indem einer den Arm leicht um die Taille des auderu legte oder den Ellbogen 
des Bekannten erfaßte, was dieser erwiderte. In dieser Stellung pflegten sie dann 
einige Augenblicke zu verharren: „Amasho", grüßte der eine, „ich wünsche dir Vieh"; 
„amasho ngnrre", „ich wünsche dir weibliches", antwortete der Angeredete. So 
wuchs begreiflicherweise die Spannung in unserer Karawane mit jedem Tage, jeder 
versprach sich höchst merkwürdige Erlebnisse nnd wünschte den Augenblick herbei, 
den Mann von Angesicht zu seheu, dessen Name jeder in Ruanda kennt, dessen Wort 
Evangelium bedeutet, außer dessen Willen es keinen anderen im weiten Reiche 
Ruanda gibt. 
Endlich näherten wir uns der hochgelegenen Residenz. Hunderte von Watnssi 
schritten uns vorauf, die ohnehin stattliche Karawane noch vergrößernd. — Einige 
Vornehme waren von einer Anzahl Trüger begleitet, die die Kleidung und Lebens¬ 
bedürfnisse des „Herrn" in großen Körben aus dem Kopse trugen. Andere führten 
gar eine Kuh mit, damit ihnen die tägliche frische Milch nicht fehle. 
Kurz vor dem Einmarsch hatten wir die Freude, Hauptmann von Grawert, 
welcher zu uuserem Empfang den weiten Weg aus Vlfumbura nicht gescheut und der 
schon mehrere Tage beim Sultan kampiert hatte, zu begrüßen. Tausende von Men- 
schen beobachteten von ferne, von den Kuppen der Hügel uud Anhöhen, in ruhiger 
Haltung unseren Anmarsch; kein Lärmen, kein Schreien, kein Volksgedränge, wie 
sonst üblich, begleitete den Einzug. Die Haltung der Bevölkerung unterschied sich auf 
das vorteilhafteste von der ihrer Genossen an der Küste. 
Tie gespannte Aufmerksamkeit, mit welcher die Bewohner von Niansa uns be- 
obachteteu, hatte aber auch uoch einen besonderen Grund. Denn die ungeheuren 
Mengen Lebensmittel, die großen Herden von Vieh, die als Geschenk des Sultaus 
hier aufgestapelt lagen, nicht zum wenigsten die Anwesenheit des Residenten von 
Grawert selbst, der in voller Uniform uns einholte, hatten die Vorstellung ganz be- 
sonderer Machtentfaltung, die sich hauptsächlich um meine Person drehte, in der 
Phantasie der Leute erweckt. Erzählungen unglaublichster Art schwirrten in der Luft 
umher und bildeten das Gesprächsthema. 
„Ter große Stier kommt mit seinen Kälbern", slog es von Kuppe zu Kuppe, 
„er hat vier Arme und sechs Beine", womit weniger ein Porträt meiner Persönlich- 
keit gezeichnet, als vielmehr, der Denkuugsart des Hirtenvolkes entsprechend, meine 
Macht nnd Stärke augedeutet werden sollte. 
Ans einem weiten Platz nnweit der Sultanshütte, der dank Hauptmann von 
Grawerts Bemühuugen vortrefflich vorbereitet worden war, wurde diesmal das 
Lager mit ganz besonderer Sorgfalt hergerichtet. Denn wir erwarteten den Besuch 
des „Mami". 
Ehe der Allmächtige erschien, wurden wir aber noch Zeugeu eiues höchst erheitern- 
den Vorganges. Rings um das Lager standen große Mengen von Mahntu. Neu- 
gierig hatten sie sich um das Lager geschart und starrten uns Ankömmlinge an. Aber
	        
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