271
schließen, in dessen Innern sich eine Grotte mit den Gräbern Gottfrieds
von Bouillon und seines Bruders befindet. Der mittlere Teil der
Gesamtkirche, das sogenannte Chor der Griechen, ist der ansehnlichste
und zugleich am prächtigsten geschmückte Raum. Drei Gitterthüren
führen von da in die eigentliche Kirche des heiligen Grabes. Zwei
Säulengänge, der eine über dem andern, laufen längs ihrer runden
Wände. Über ihnen wölbt sich eine majestätische Kuppel, durch deren
Öffnung das Tageslicht prächtig hereinströmt. Senkrecht darunter
steht, wie eine kleine Kirche in einer großen, das heilige Grab, von
weißem Marmor aufgeführt. Im Innern enthält es zwei in den
Kreidefelsen gehauene, aber gleichfalls mit Marmor überkleidete Ge¬
mächer. Durch die Eingangspforte, vor welcher vier hohe silberne
Leuchter mit armdicken brennenden Wachskerzen stehen, gelangt man
zuerst in ein kleines Gemach, die Engelskapelle. Aus dieser tritt man
tief gebückt durch ein enges Pförtchen in die eigentliche Grabkammer,
deren größere Hälfte der Altar einnimmt, welcher den Felsensarg des
Herrn bedeckt. Viele kleine Nischen umgeben den Altar, geschmückt
mit goldenen und silbernen Leuchtern und Gefäßen. Viele Lampen —
Geschenke von Päpsten, Kaisern und Königen — erleuchten die Grotte
Tag und Nacht. Die Luft ist erfüllt vom Dufte des Weihrauchs, der
hier reichlich angezündet wird. Alles ist still. Niemand wagt, ein
lautes Wort zu sprechen.
Wir durchschritten das nach dem Blutzeugen Stephanus benannte
Thor, und vor uns lag das tiefgeschluchtete Thal Josaphat und gegen¬
über der Ölberg. Wir gingen den steilen Fußpfad hinab und über
die Brücke des im Sommer wasserleeren Kidron. Jenseits stehen wir
an einem ummauerten Gartenraume. Wir klopfen an die kleine Pforte,
und wir sind in Gethsemane. Es ist ein viereckiger Platz, mit vielen
Blumenbeeten und acht zerstreut stehenden, uralten Olivenbäumen ge¬
schmückt. Eine feierliche Stille umgab uns. Kein Geräusch der Stadt
drang zu unseren Ohren. Ein junger Franziskanermönch saß in einer Ecke
des Gartens und betete leise aus einem Buche. Unwillkürlich trat mir
das Bild des Erlösers vor die Seele, wie er hier trauerte und zagte.
Wir stiegen den Ölberg hinauf. Drei Gipfel liegen nebeneinander,
von denen der mittlere vorzugsweise der Ölberg genannt wird. An
die vielen und trefflichen Ölbäume, welche diesem Höhenzuge den
Namen gaben, erinnern nur noch etwa fünfzig Stämme, welche sich
wie eine irrende Herde über ihn hin zerstreuen. Hier und dort liegt
ein Stück Getreidefeld, stehen vereinzelte Mandel- und Feigenbäume.
Nur in der Regenzeit gewinnt der Berg ein lachendes, erfreuendes