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fast ganz Asien unter der neuen Despotenherrschaft. Zu Samarkand 
auf dem berühmten grünen Steine, der noch heute zu sehen ist, 
stand der Thron des übergewaltigen Mongolenfürsten, und stets 
diente ihm ein vornehmer Gefangener als Schemel seiner Füße. 
Es war, als ob die Genialität des seltsamen Mannes sich auch als 
besonders erfinderisch erwies in der Bestrafung der eroberten Städte. 
Ein Massengemetzel unter den unglücklichen Einwohnern hatte auch 
Dschingischan veranstalten lassen, aber Timur wußte in die Eintönig¬ 
keit der Blutscenen noch einige entsetzliche Abwechselungen zu bringen. 
In Persien wurden auf seinen Befehl die Gefangenen lebendig über¬ 
einander geschichtet, mit Lehm und Kalk verputzt und zu Mauern 
und Türmen kunstmäßig als Baumaterial verwertet. Ein andermal 
ließ er in einer großen Grube die kugelförmig gefesselten Feinde 
nebeneinander legen, dann Bretterlagen darüber befestigen und so 
wie bei den Schichten einer Pastete oder Fruchttorte Menschenleiber 
und Balkengezimmer in grausigem Gemische abwechseln. Jeder seiner 
Krieger mußte eine bestimmte Anzahl Köpfe erschlagener Feinde ab¬ 
liefern, und aus den übereinander gehäuften Schädeln — in Indien 
waren es neunzigtausend — wurden Siegespyramiden errichtet, bei 
deren Anblick wohl das Blut der Bezwungenen erstarren mochte. 
Wenn gegenüber diesen Mongolenstürmen und Eroberungszügen 
Europa als der leidende Teil erschien, so hat es auch nicht an An¬ 
griffskriegen gefehlt, die Europa gegen Asien geführt hat. Schon 
in den ältesten griechischen Mythen fordert Europa kampfgerüstet 
Asien zum Kampfe heraus, und in der troischen Ebene maßen sich 
zuerst Europäer und Asiaten in erbittertem Streite. Westasien wurde 
dann durch die Feldzüge Alexanders des Großen und die Kreuzzüge 
des Mittelalters heimgesucht. Der Einfluß des milderen Klimas, 
die Einwirkung einer ästhetisch so bezaubernden und als Augenlust 
dienenden Vegetation sänftigte und veredelte, wie Alexander von 
Humboldt sagt, die rauheren europäischen Nordländer und hat nach 
dieser Hinsicht trotz Kampf und Krieg unsäglichen Segen gestiftet. - 
Dann haben die Engländer sich in Asien ein großes Reich gegründet, 
und unter den stolzen Titeln der britischen Majestät prangt die wert¬ 
volle Bezeichnung einer Kaiserin von Indien. Neuerdings ist nun 
der gefährlichste Bedränger Asiens erstanden, der langsam und sicher 
in Asien vordringt —' das ist Rußland. Kaiser Nikolaus pflegte 
zu sagen, Rußland habe in Asien keine Grenzen, und in der That 
beherrscht ja heute der Zar aller Reußen drei Fünftel des asiatischen 
Länderleibes. So lvie die Trancheen gegen die belagerte Festung 
mehr und mehr vorrücken uní) dem Angegriffenen Raum und Be¬ 
wegung abgewinnen, so weiß Rußland von seinem kolossalen nord¬ 
asiatischen Länderbesitz her gegen Mittel- und Lmdasien vorsichtig 
vorzudringen.
	        
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