Fünfter Abschnitt.
(Charakterbilder von der germanischen Tiefebene.)
I. Auf der Schelde zum Rhein. — 2. Vergleich der Niederlande am Rhein und an
der Schelde mit denen an der Weser und Elbe. — 3. Der Holländer. — 4. Bremer¬
haven, Bremen und die Bremer. — 5. Hamburg.
1. Aus der Schelde zum Rhein.*)
Die Schelde ist, wie die Themse bei London, der Tiber bei Rom, der
Jordan bei Jerusalem, der Skamander bei Troja — ein sehr kleiner und
dennoch weltberühntter und höchst bedeutungsvoller Strom. Obgleich sie
kaum so lang ist, wie mehrere Zuflüsse der Seine, und obwohl das ganze
Ländergebiet, das sie bewässert, kaum so groß ist, wie eine der zahlreichen
Provinzen des Rheins: so ist doch ihr Name in der Geschichte so groß
und aus dem Erdboden so weit bekannt, wie der des Rheins, der Donau,
der Elbe und anderer gewaltiger Ströme, mit welchen verglichen die
Schelde nur zwergartig erscheint.
Die kleine Schelde verdankt diese ihre kolossale Berühmtheit und
Bedeutung zum Theil der Fruchtbarkeit der Landstriche, welche sie bewässert
und deren Ergiebigkeit sie selbst noch erhöht, zum Theil ihrer geographi¬
schen Lage und Weltstellung. Während die Maas mit ihren Armen das
malerische, aber zum Theil sterile Gebirgsland der Ardennen in vielen
Richtungen durchbricht, fließt die Schelde fast von ihren Quellen an mit
sämmtlichen Nebenflüssen, entweder in völliger Ebene oder doch in einem
anmuthigen und fruchtbaren Hügellande. Fast die Hälfte des
Scheldegebietes ist angeschwemmtes Deltaland, während
sonst bei andern Flußgebieten der Delta- und Marschboden sich zu
ihrem ganzen Körper nur wie der Rahm zur Milch verhält.
Während im Maasgebiete, so weit es Belgien angehört, fast durch¬
weg der minder begabte Volksflamm der Wallonen sich verbreitete, machte
*) Von I. G. Kohl.