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Schmerzen des hilflosen Thieres. Mil satanischem Triumphe eilen nun 
die Neger, bewaffnet mit Messern und Lanzen, herbei, um es vollends zu 
Tode zu martern. Noch im Todeskampfe vertheidigt es sich mit Muth, 
und schon mancher dieser Henker hat seine Mordlust mit dem Leben ge¬ 
büßt, wenn er glaubte, mit dem Dolche ungestraft im Fleische des Thiers 
wühlen zu können. 
Die meisten meiner Leserinnen werden bei der bloßen Schilderung 
dieser Scene schaudern, aber die Damen von Lima finden ein großes 
Wohlgefallen, ihr zuzusehen, einen hohen Genuß an diesem Schauspiel. 
Ländlich, sittlich! Auch sind sie ja von früher Jugend an diesen schauder¬ 
hasten Anblick gewöhnt. 
Kehren wir aber auf den Kampfplatz zurück, den so eben der „Pa- 
langano mulato (tief-braune) de Vergara“ durchrennt. Ein leises 
Murmeln wird im Kreise gehört. „Que toro tan flojol!“ (Wie ist der 
Stier so flau!) tönt es von verschiedenen Seiten. Der Stier erhält nicht 
und verdient auch nicht die Gunst des Publicums. Die Heftigkeit, mit 
der er die Arena betrat, ist bald zu Ende; er steht still, sieht sich ganz 
verwundert im Kreise um, läuft in kurzem Trabe durch die Plaza und 
sucht eine Thür, um herauszukommen. Vergeblich necken ihn die Capea- 
dores, er sieht sich nicht nach ihnen um, sondern glotzt das geschlossene 
Thor an und brüllt sehnsüchtig seinen abwesenden Gefährten zu. Die Re- 
joneadores stechen ihn mit ihren Lanzen, um ihn etwas zu reizen; für 
Augenblicke rafft er sich zusammen, rennt ihnen nach, aber bald trottet er 
wieder harmlos im Circus herum. „Fort mit ihm", schreit das Publicum 
und der Schiedsrichter giebt das Zeichen, dem Wunsche Folge zu leisten. 
Mehrere Kühe und Ochsen werden in die Arena getrieben, und in ihrer 
Gesellschaft verläßt das feige Thier unter dem Hohngelüchter der Zuschauer 
den Kampfplatz. 
Der folgende Stier wird den laut werdenden Unwillen des Publi¬ 
cums besänftigen. Er ist für eine Lanzada*) bestimmt; in der Liste ist 
er als „Busca la punta barroso de Paramonga“**) aufgeführt. Ein 
untersetzter starker Indianer erscheint mit einer Ungeheuern Lanze. Der 
Stiel ist 12—14 Fuß lang und an seinem hintern Ende fast schenkel¬ 
dick; die Spitze ist breit und über eine Spanne lang. Dem Toril gegen¬ 
über, ungefähr 25—30 Schritte davon entfernt, ist ein starker Stein in 
den Boden gerammt, zu welchem der Indianer geht, um seine Vorbe¬ 
reitungen zu treffen. Nochmals untersucht er Lanze und Stein sorgfältige 
probirt die Höhe, in die er die Spitze richten muß, legt die Lanze nieder, 
zieht seinen Rosenkranz und betet andächtig einige Paternoster und Ave, 
bekreuzt sich, greift wieder zu seiner Waffe und läßt sich auf ein Knie nie¬ 
der. Mit beiden Händen saßt er den Stiel, den er mit aller Kraft gegen 
*) Lanzenstich. 
**) Busca la punta, suche die Spitze; bari'080, kuhbraun.
	        
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