Full text: Charakterbilder deutschen Landes und Lebens für Schule und Haus (Theil 3)

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wie in der wärmeren Jahreszeit, die Niederschläge aber wegen der ver- 
minderten Temperatur der Erde und Luft nicht in tropfbarer, sondern 
in fester Gestalt erscheinen, deshalb auch nicht so wie im Sommer die 
Regengüsse ablaufen oder von der Erde eingesaugt oder durch Wärme 
schnell verdunstet werden können: so folgt nothwendig daraus, daß vom 
Anfange November bis Ende Februar, wo lang anhaltende Thauwetter 
eine Seltenheit sind, sich nach und nach eine ungeheure Menge von 
Schnee auf dem Riesengebirge anhäuft, der gewöhnlich bis Ende April 
oder auch bis in den Mai hinein liegen bleibt, während auch dann noch 
einzelne Schneemassen, namentlich in den Schneegruben und an den 
Teichrändern, sowie an mehreren andern Stellen des nördlichen Abhan- 
ges, in voller Weiße nicht selten bis Mitte Juli in's Thal hinab leuchten. 
Eigentümlich aber ist der Umstand, daß im Wechsel der winterlichen 
Temperaturverhältnisse auf dem Kamme des Gebirges vorübergehendes 
Thauwetter nicht selten früher eintritt, als unten im Hirschberger Thale 
und daß überhaupt im Winter dort oben die Temperatur oft längere Zeit 
einige Grade milder ist, als in der tieferen Thalregion. Die Ursache dieser 
Erscheinungen beruht in den warmen Luftströmungen, welche, von Süden 
kommend, wohl den Kamm des Gebirges berühren, über die kalte Luft 
aber, welche das Thal erfüllt und schwerer als jene ist, hinwegstreichen. 
In besonders schneereichen Wintern oder bei anhalten Schneestürmen 
kommt es vor, daß einzelne „Bauden" (so werden die Wohnungen im 
Gebirge genannt) bis zum Dache hinauf einschneien; dann wühlen die 
Bewohner von der Hausthür aus eine stollenähnliche Oeffnung durch 
den Schnee oder nehmen durch den Dachgiebel ihren Ausgang. Ihr 
Verkehr mit den Thalbewohnern zum Zweck der Beschaffung von Lebens¬ 
mitteln oder andern Bedürfnissen ist dann äußerst beschwert oder gänz- 
lich unmöglich; die Erfahrung hat sie aber gelehrt, sich alljährlich bei 
Zeiten mit dem in den Wintermonaten zum Leben Unentbehrlichsten zu 
versehen. Tritt in dieser Zeit ein Sterbefall in der Familie ein, so 
muß die Leiche so lange aufbewahrt bleiben, bis Weg und Wetter ihre 
Ueberführung auf den oft stundenweit entfernten Kirchhof gestatten. 
Äte über das Gebirge führenden Pfade werden, noch bevor die 
Schneezeit eintritt, durch ausgesteckte lange Stangen bezeichnet, die man nach 
Erforderniß im Laufe des Winters ergänzt und erneuert. Auf denjenigen 
Wegen, welche am meisten begangen oder mit Holzschlitten befahren werden, 
bildet der Schnee sehr bald eine genügend feste Unterlage für die Pas- 
sage; sind aber Holzarbeiter oder andere Personen genöthigt, über frisch- 
gefallenen Schnee ihre Wege zu nehmen, so bedienen sie sich der so- 
genannten Schneereifen, die aus Knieholz gefertigt und mit starken 
Hanfschnüren durchflochten sind und dadurch, daß man sie unter die 
Füße festbindet, das Einsinken in die Schneemassen verhindern. 
An steilen Abhängen, besonders an den Rändern des großen und 
kleinen Teiches, im Riesen- und Melzergrunde, in den Schneegruben,
	        
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