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wie in der wärmeren Jahreszeit, die Niederschläge aber wegen der ver-
minderten Temperatur der Erde und Luft nicht in tropfbarer, sondern
in fester Gestalt erscheinen, deshalb auch nicht so wie im Sommer die
Regengüsse ablaufen oder von der Erde eingesaugt oder durch Wärme
schnell verdunstet werden können: so folgt nothwendig daraus, daß vom
Anfange November bis Ende Februar, wo lang anhaltende Thauwetter
eine Seltenheit sind, sich nach und nach eine ungeheure Menge von
Schnee auf dem Riesengebirge anhäuft, der gewöhnlich bis Ende April
oder auch bis in den Mai hinein liegen bleibt, während auch dann noch
einzelne Schneemassen, namentlich in den Schneegruben und an den
Teichrändern, sowie an mehreren andern Stellen des nördlichen Abhan-
ges, in voller Weiße nicht selten bis Mitte Juli in's Thal hinab leuchten.
Eigentümlich aber ist der Umstand, daß im Wechsel der winterlichen
Temperaturverhältnisse auf dem Kamme des Gebirges vorübergehendes
Thauwetter nicht selten früher eintritt, als unten im Hirschberger Thale
und daß überhaupt im Winter dort oben die Temperatur oft längere Zeit
einige Grade milder ist, als in der tieferen Thalregion. Die Ursache dieser
Erscheinungen beruht in den warmen Luftströmungen, welche, von Süden
kommend, wohl den Kamm des Gebirges berühren, über die kalte Luft
aber, welche das Thal erfüllt und schwerer als jene ist, hinwegstreichen.
In besonders schneereichen Wintern oder bei anhalten Schneestürmen
kommt es vor, daß einzelne „Bauden" (so werden die Wohnungen im
Gebirge genannt) bis zum Dache hinauf einschneien; dann wühlen die
Bewohner von der Hausthür aus eine stollenähnliche Oeffnung durch
den Schnee oder nehmen durch den Dachgiebel ihren Ausgang. Ihr
Verkehr mit den Thalbewohnern zum Zweck der Beschaffung von Lebens¬
mitteln oder andern Bedürfnissen ist dann äußerst beschwert oder gänz-
lich unmöglich; die Erfahrung hat sie aber gelehrt, sich alljährlich bei
Zeiten mit dem in den Wintermonaten zum Leben Unentbehrlichsten zu
versehen. Tritt in dieser Zeit ein Sterbefall in der Familie ein, so
muß die Leiche so lange aufbewahrt bleiben, bis Weg und Wetter ihre
Ueberführung auf den oft stundenweit entfernten Kirchhof gestatten.
Äte über das Gebirge führenden Pfade werden, noch bevor die
Schneezeit eintritt, durch ausgesteckte lange Stangen bezeichnet, die man nach
Erforderniß im Laufe des Winters ergänzt und erneuert. Auf denjenigen
Wegen, welche am meisten begangen oder mit Holzschlitten befahren werden,
bildet der Schnee sehr bald eine genügend feste Unterlage für die Pas-
sage; sind aber Holzarbeiter oder andere Personen genöthigt, über frisch-
gefallenen Schnee ihre Wege zu nehmen, so bedienen sie sich der so-
genannten Schneereifen, die aus Knieholz gefertigt und mit starken
Hanfschnüren durchflochten sind und dadurch, daß man sie unter die
Füße festbindet, das Einsinken in die Schneemassen verhindern.
An steilen Abhängen, besonders an den Rändern des großen und
kleinen Teiches, im Riesen- und Melzergrunde, in den Schneegruben,