274
Die ganze rheinische Berglandschaft, welche sich bis zu einer Höhe
von 2000 Fuß erhebt, wäre eine sehr einförmige, wellige Ebene, wenn sie
nicht von tiefen Thälern in ihrer ganzen Ausdehnung durchschnitten würde.
Während auf den Hochflächen nur Kornbau, oft nur Hafer gedeihet,
schmücken Obsthaine und Weinreben die sanften Abdachungen, wie die
steilsten Bergwände der tief eingeschnittenen Thäler. Die Bäche bewässern
schmale Wiesengründe, treiben Mühlen oder Hammerwerke. Diese engen
Thäler sind reizende Oasen, denen die geschütztere Lage ein milderes Klima
verleihet, als den hochgelegenen Umgebungen. Sie haben sich mit blühen-
den Ortschaften und wohlhabenden Städten angefüllt. Es sind außer dem
Rhein namentlich die Lahn, Sieg, Ruhr und Lippe, welche das rheinische
Hochland in verschiedene Gebirgslandschaften spalten. Etwas dem Ver-
wandtes suchen wir vergebens bei den übrigen deutschen Strömen. Keiner
von ihnen hat ein so regelmäßig gespaltenes, von parallel gehenden Flüssen
durchfurchtes, mit so kostbaren Schätzen der Ober- und Unterwelt so
mannigfach ausgestattetes Gebirgsland aufzuweisen. Im Siegen'schen Lande
sieht man überall den Boden von Stollen durchwühlt, sieht man Rauch-
Wolken an Rauchwolken aus den Hüttenwerken aufsteigen und hört überall
bergmännischen Gruß und bergmännische Gespräche. Im Ruhr- und
Wupperthale reiht sich ebenfalls Fabrikort an Fäbrikort. Das Gebiet der
Lahn dagegen ist reich an berühmten Heilquellen. Tausende von Gästen,
aus den reichsten und vornehmsten Klassen aller Theile von Europa, suchen
in Ems, Wiesbaden, Schwalbach, Schlangenbad Heilung; Millionen von
Wasserkrügen von Selters, Fachingen u. s. w. bringen selbst über den
Ocean hin eine erwünschte Erquickung. So zeichnet sich das rheinische
Schiefergebirge durch eine Fülle der Production, durch einen Wechsel der
Landschaften und des Klima's aus, wie eine solche Mannigfaltigkeit weder
auf der Südseite der Alpen im heißen Tieflande des Po, noch in der
rauhen Hochfläche der oberen Donau zu finden ist.
Nachdem der Rhein das Schiefergebirge verlassen hat, theilt sich der
mächtige, 2000 Fuß breite Strom in mehrere Arme und schüttet durch
dieselben eine Wasserfülle in den Ocean, wie kein zweiter deutscher Fluß.
Das Deltaland, welches zwischen seinen weit ausgebreiteten Armen liegt,
verdankt seine Entstehung recht eigentlich deutscher Erde, die von Alters
her der Rhein hier absetzte. Noch jetzt trägt er so große Erdmassen in
seinen Wellen fort, daß man jährlich 600 Millionen Ziegelsteine daraus
gewinnen könnte. Einst hieß das Meer, in welches er mündet, das deutsche
Meer. Das Gestade desselben ist der Ursitz des germanischen Stammes,
und bis 1648 hatte das heilige deutsche Reich hier seine wichtigste Meeres-
Provinz, die Niederlande. Zur Zeit der Hansa war diese zu einer solchen
Blüthe gelangt, daß Antwerpen seine Mauern hinausrücken mußte, um
die Menge der aus aller Welt zuströmenden Menschen aufnehmen zu
können, da an Markttagen nicht selten 800 Schiffe in seinen Hafen ein-
liefen. Amsterdam vermochte ein Stadthaus zu bauen, das 12 Millionen