Full text: Bilderanhang ([Teil 6])

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f21. Der Berggeist im Harz. 
Zwei Bergleute arbeiteten immer gemeinschaftlich. Einst¬ 
mals, als sie anfuhren und vor Ort kamen, sahen sie an ihrem 
Geleucht, daß sie nicht genug Öl zu einer Schicht auf den Lampen 
hatten. „Was ^fangen wir da an?" sprachen sie miteinander, 
„geht uns das Öl aus, so daß wir im Dunkeln sollen zutage 
fahren, sind wir gewiß unglücklich, da der Schacht schon geführ. 
lich ist. Fahren wir aber jetzt gleich aus um von Haus Öl 
zu holen, so straft uns der Steiger und das mit Lust; denn er 
ist uns nicht gut." Wie sie also besorgt standen, sahen sie ganz 
fern in der Strecke ein Licht, das ihnen entgegenkam. Anfangs 
freuten sie sich: als es aber näher kam, erschraken sie gewaltig; 
denn ein ungeheurer, riesengroßer Mann ging ganz gebückt in 
der Strecke herauf. Er hatte eine große Kappe auf dem Kopfe 
und war mit einem langen Gewände angetan; in der Hand 
aber trug er ein mächtiges Grubenlicht. Als er bis zu den 
beiden, die in Angst still dastanden, geschritten war, richtete er 
sich auf und sprach: „Fürchtet euch nicht, ich will euch kein 
Leid antun, vielmehr Gutes," nahm ihr Geleucht und schüttete 
Öl von seiner Lampe darauf. Dann aber ergriff er ihr Gezäh 
und arbeitete in einer Stunde mehr, als sie selbst in der ganzen 
Woche bei allem Fleiße herausgearbeitet hätten. Nun sprach 
er: „Sagt's keinem Menschen je, daß ihr mich gesehen habt!" 
und schlug zuletzt mit der Faust links an die Seitenwand; sie 
tat sich auseinander und die Bergleute erblickten eine lange 
Strecke, ganz von Gold und Silber schimmernd. Und weil der 
unerwartete Glanz ihre Augen blendete, so wendeten sie sich ab; 
als sie aber wieder hinschauten, war alles verschwunden. Hätten 
sie ihre Bilhacke (Hacke mit einem Beil) oder sonst irgend einen 
Teil ihres Gezähes hineingeworfen, so wäre die Strecke offen 
geblieben und ihnen viel Reichtum und Ehre zugekommen; aber 
so war es vorbei, wie sie die Augen abgewendet hatten. 
Doch blieb ihnen auf ihrem Geleucht das Öl des Berg¬ 
geistes, das nicht abnahm und darum noch immer ein großer 
Vorteil war. Aber nach Jahren, als sie einmal am Sonn¬ 
abend mit ihren guten Freunden im Wirtshause zechten und 
sich lustig machten, erzählten sie die ganze „ Geschichte und 
Montag morgens, als sie anfuhren, war kein Öl mehr auf der 
Lampe und sie mußten nun jedesmal wieder wie die andern 
frisch aufschütten. Brüder Grimm
	        
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