99
eröffnet hatte, wurde er mit großen Ehren von dem Gesandten [be8 Königs
wieder nach Rom geleitet und in feine Gewalt wieder eingefetzt. — Im
Herbst des folgenden Jahres zog Karl nach Italien, um die Kirche neu zu 8oo.
ordnen. In Rom erklärte er öffentlich in einer Versammlung, warum
er gekommen sei, und er bemühte sich nun täglich das auszuführen, was
ihn hergerufen hatte. Er begann mit dem Wichtigsten und Schwierigsten,
nämlich der Untersuchung über die dem Papste zur Last gelegten Verbrechen.
Da sich jedoch keiner fand, der die Wahrheit dieser Beschuldigungen er-
Härten wollte, so bestieg Papst Leo vor allem Volk, in der Hand das
Evangelium, die Kanzel in der Peterskirche und reinigte sich unter An¬
rufung der heiligen Dreieinigkeit durch einen Eid von den ihm vorgeworfenen
Verbrechen.
Als aber der König Karl cm dem heiligen Tage der'Geburt des Herrn
zur Feier der Messe die Peterskirche betreten und sich vor dem Altar zum
Gebet geneigt hatte, setzte Papst Leo eine Krone auf fein Haupt unter
dem tauten Zuruf des ganzen römischen Volkes: ,„$)em erhabenen Karl,
dem von Gott gekrönten, großen und friedebringenden Kaiser der Römer,
Leben und Sieg!" Nach diesem Zuruf wurde ihm, wie es bei den alten
Fürsten der Brauch war, von dem Papste gehuldigt, und er fortan mit
Weglassung des Titels eines Patricius Kaiser (Imperator) und Augustus
genannt.
Karl war nun der höchste Herrscher der Welt; alle anderen Fürsten wurden
gewissermaßen seine Lehensleute. Zugleich war er oberster Schirmherr der Kirche; der
Papst, als der erste Bischof des Frankenreiches, war wie die gefammte Geistlichkeit des
Reiches abhängig vorn Kaiser.
3. Die Regierung Karl's des Großen.
a. Verfassung und Gesetzgebung. Durch Verfassung und Gesetzgebung
trachtete Karl d. Gr. danach, fein großes Reich fest zu gründen. Er hob zunächst
die Volksherzogthürner auf und theilte das ganze Reich in Gaue ein,
über die er Beamte, Gaugrafen, stellte. Den Gaugrafen waren die Centgrafen
(Hundertschaften) untergeordnet. An den Grenzen des Reiches errichtete et zum Schutze
gegen die Feinde die Marken; der Markgraf befehligte die Mark. (Friaul, windifche
Mark, Steiermark, bayrische Ostmark, Nordgau, thüringische und sächsische Marken.)
Zur Prüfung und Beaufsichtigung der Beamten und Untersuchung der Zustände wurden
jährlich zwei Sendboten (missi dominici), ein geistlicher und ein weltlicher, durch
das Land geschickt. Kammerboten (missi fiscalini), die späteren Pfalzgrafen, ver-
walteten die königlichen Güter. — In Kriegszeiten wurde der Heerbann aufgeboten.
Die Vasallen de? Reichs, zu denen auch die Etzbischöfe, Bischöfe und Aebte gehörten,
mußten zum Könige mit ihren Leuten stoßen; außerdem führten die Gau- und Centgrafen
die Freien in's Feld. Durch den Krieg verarmten viele der letzteren, weil kein Sold
7: