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war. Der Anführer der Gesandtschaft war der Markgraf
Rüdiger von B e ch l a r n, ein tapferer Held, der ein
alter Freund des länder- und völkevkundigen Hagen war.
Ortwin von Metz empfing die Helden im Namen seines
Königs und geleitete sie in den Palast. Da redete Rüdiger
von Bechlarn also: „Erlaubt ihr mir, Herr König, so sage
ich euch, was euch mein Herr, der große König Etzel, ent¬
bieten läßt. Man sagte meinem Herrn, Kriemhild sei ohne
Mann, seit Siegfried gestorben ist, und König Etzel hat seine
Gemahlin verloren, denn die edle Königin H e l ch e ist auch
gestorben. Wenn ihr nun nichts dagegen habt, so will König
Etzel eure Schwester Kriemhild zur Königin über das Un¬
garland machen." Der König und seine Brüder waren
hoch erfreut über die Ehre, die ihrer Schwester widerfuhr,
und Günther sprach zu dem Gesandten: „In drei Tagen will
ich euch Antwort sagen, denn ich will zuvor mit Kriemhild
reden."
Als am Tage darauf der König alle feine Verwandten
zusammen fommen ließ, um mit ihnen zu beraten, da rieten
alle, die Bitte des Etzel zu gewähren, nur allein Hagen war
dagegen. Er fürchtete, daß den Burgundern großes Leid aus
der Verbindung mit den Hunnen erwachsen würde. Aber
Günther ward zornig, als er das hörte und glaubte, Hagen's
Haß gegen Kriemhild sei Schuld an seinem Rate. Er sprach:
„Die Königin Kriembild hat Leid genug gelitten; was ihr in
Zukunft Liebes geschieht, das will ich ihr gern gönnen."
Nun erinnerte der junge Giselher noch gar daran, daß Hagen
es gewesen, der der Schwester das viele Leid zugefügt habe,
darum solle er sie jetzt ohne Neid ziehen lassen. „Noch nie",
setzte er hinzu, „sind einem Weibe von einem Manne so viel
Freuden genommen worden wie ihr." Da mußte Hagen
endlich stillschweigen und ging mißmutig davon. Der Mark¬
graf Gere aber ward mit der Botschaft des Königs Etzel