— 145 —.
Blüten und breitblättriger Efeu empor. Aus den Gärten selbst nicken
purpurfarbene Rosen zu uns herüber und scheinen uns zu sagen: „Freuet
euch! Bei euch zu Hause liegen Eis und Schnee über der Erde,
kein Vogel singt, kein Schmetterling wiegt sich über den Blütenkelchen.
Hier aber ist Frühling und Freude!" — Langsam wandern wir durch
die Straßen. Bald betrachten wir eine schöne Villa, bald ein kunst-
volles Denkmal, bald einen geschmückten Brunnen. Plötzlich stehen wir
bewundernd still. Vor uns liegt die herrlichste und ehrwürdigste Kirche
der Welt:
1. Die Peterskirche. Sie steht auf einem von Säulenhallen
umgebenen Platze, auf dem zwei Springbrunnen mächtige Wassersäulen
emporsteigen lassen. Eine breite Marmortreppe führt zu dem Eingange
empor. Wir steigen die Stufen hinauf und treten ein in das herrliche
Bauwerk. In der Mitte steht der Hochaltar. Über ihm wölbt sich
auf vier riesenhaften Pfeilern die gewaltige, reich vergoldete Kuppel,
welche die Decke der Kirche bildet und sich bis zu einer Höhe von 130
Metern erhebt. (Die Kuppel ist also so hoch, daß man unsere Stadt-
kirche mit dem Turme in die Peterskirche hineinstellen kann, ohne daß
die Turmspitze die Kuppel berühren würde.) Unter dem Hochaltar, an
dem der Papst an hohen Festtagen selbst Gottesdienst hält, befindet sich
eine mit Marmor ausgelegte Kapelle, in der die Gebeine des Apostels
Petrus ruhen. Diese Kapelle ist von 112 Lampen erhellt, die Tag
und Nacht brennen und nur am Karfreitage ausgelöscht werden. Nach-
dem wir das Innere der Kirche genügend betrachtet haben, steigen wir
auf Hunderten von Stufen zur Kuppel empor, um von hier aus die
Aussicht zu genießen. Was mögen wir schauen? (Häusermeer — Tiber¬
strom mit Brücken — braune, öde Ebene — Gebirgszüge im Norden
und Osten — Meer im Süden und Westen.) Nachdem wir uns satt
gesehen haben, steigen wir wieder herab von der schwindelnden Höhe
und setzen unseren Gang fort.*)
2. Dicht neben der Peterskirche finden wir noch einen in der gan-
zen Welt berühmten Bau, den Vatikan. Der Vatikan ist eigent-
lich kein Palast, sondern eine kleine Stadt. Er umfaßt nämlich
22 Höfe, 200 Treppen und über 4000 Zimmer. Der größte Teil
dieser Zimmer ist mit herrlichen Kunstwerken, mit Bildsäulen und Ge-
mälden geziert) andere wieder dienen einer berühmten Bibliothek, die
gegen 64000 Bände und eine große Anzahl seltener Handschriften aus
alten Zeiten enthält, zur Aufbewahrung. Am meisten werden die Kapellen
und Säle aufgesucht und bewundert, welche der große Maler Rasael mit
*) »In seiner höchsten Majestät erscheint der Petersplatz mit seinen Kolon-
naden, dem Obelisk, den wasserreichen Springbrunnen und der Kirche des Nachts,
wenn der Mond alle diese Gegenstände beleuchtet. Silbern glänzen die Wasser-
strahlen und sprühen wie Funken umher. Alles ist still, nur das rastlos hervor-
sprudelnde Wasser unterbricht die Ruhe der Nacht."
Tischendorf, Europa. Ii). Aufl. in