104
Afrika.
fast sageil der Jahrtausende erwiesen hat, beweist das Dunkel,
das sich selbst über den Oberlauf des Nils, eines Stromes, der in
der Geschichte eine so große Rolle gespielt hat, bis in die jüngste
Zeit erhalten hat. Lesen wir die Kunde, die Herodot 500 Jahre
y. Chr. von demselben gab, und vergleichen sie mit unserer Kenntnis
vor einigen Jahrzehnten, so linden wir, daß in einer Zeitdauer von
mehr als 2300 Jahren das Dunkel nicht um eine Spur aufgehellt
wurde. Wie schwierig aber von der Küste her das Vordringen in
den dunklen Erdteil war, das haben fast alle Kund fahrten der
letzten Jahrzehnte gelehrt. Wohl am deutlichsten ging dies aus
der Kundfahrt hervor, die der englische Kapitän Tukey zur Er¬
forschung des das Königreich Kongo durchfließenden Zaire, d. i.
des Kongostroms, unternahm. Keine Kundfährt ist je besser aus¬
gerüstet und mit bessern Aussichten ausgesandt worden, und keine
hat einen traurigem und unglücklichem Abschluß gefunden. Sie
scheiterte völlig, ehe sie ins eigentliche Innere vorzudringen ver¬
mochte, indem in den drei ersten Monaten 18 Mitglieder infolge
der Strapazen an Krankheiten starben. Die Negervölker des innern
Afrikas waren also von der Kulturwelt wie abgeschnitten, sie
mußten in ihrem Nat Urzustand e verharren. In der ungünstigen
Lage ihrer Wohnsitze ist vorwiegend die Ursache ihres gewaltigen
Rückstandes hinter den Kulturvölkern zu erkennen, nicht in ihrer
Unfähigkeit, die Kultur überhaupt aufzunehmen, wie manche Rei¬
senden, die viele Jahre unter ihnen weilten, behauptet haben. Eine
solche Ansicht äußerte z. B. A. Boshart. Major in der Kongo¬
armee*). Nur eine völlige Unkenntnis bezw. Außerachtlassung der
geographischen Gesichtspunkte kann ein solch hartes Urteil hervor¬
rufen. Kulturunfähigkeit, Grausamkeit und namenlose Faulheit
bezeichnet Boshart als die drei Eigenschaften, die allen Neger¬
stämmen gemein wären. Worin die sog. Kulturunfähigkeit ihre
Erklärung findet, das wurde schon gezeigt. Die Grausamkeit der
Negervölker ist nicht größer als die der christlichen Abessinier
und der arabischen Sklavenhändler, denen doch Kulturfälligkeit
und ein gewisses Maß von Kultur nicht abgesprochen werden
kann. Stanley, dem ein feines Seelenverständnis zugesprochen
werden muß, berichtet auch von Äußerungen eines warmgefühlten
Mitleids, die er bei Negern beobachtete. Die Behauptung der fast
sprichwörtlich gewordenen Faulheit der Neger wird widerlegt durch
den blühenden Zustand der Pflanzungen vieler Negervölker, ist
aber, soweit sie Berechtigung hat, aus dem Fehlen eines genügen¬
den Anreizes zur Arbeit zu erklären.
Der geringe Kulturfortschritt der Neger ist vorwie¬
gend auf ihre g eringe Natur- und Seele n er kennt ni s infolge
der langdauernden Abgeschlossenheit zurückzuführen. Nur durch
die Belehrung und durch das Beispiel einer höhern Handlungsweise
können sie für die Kultur gewonnen und auch den christlichen
*) Mitgeteilt in der Neuen Deutschen Kundschau als Antwort auf eine
Rundfrage, die der Herausgeber F. Giesebrecht veranstaltet hatte.