Das Königreich Frankreich.
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den Anhöhen und Felsen erbauten Bastiden haben eine weite, herrliche
Aussicht, sind aber nur von Lavendel und andern starkduftenden Kräu¬
tern umgeben, die aus deu Felsspalten freiwillig hervorwachsen,
während die tiefer stehenden im Schatten der Felsen sich befinden,
und von großen Oiivcnbäumcn umgeben sind. ,,Die provenzalé¬
sche Sonne ist ganz anders als die unsrige, hoch steht sie am
dunkelblauen Himmel, und kein Nebel, kein Wölkchen hält ihren
fast senkrecht herabblitzenden, alles versengenden Strahl zurück.
Im Sommer regnet es fast nie, und alle Vegetation erliegt dann
der glühenden Hitze, bis der Abendthau sie wieder erfrischt. In
der Mitte des Sommers ist kein Grashalm mehr zu erblicken, und
das Laub an den Bäumen verdorrt. Im April ist es schon so
heiß, als bei uns in den wärmsten Sommertagen; im Mai wer¬
den schon die Fußwege um den Hafen, den Cours und in den be¬
suchtesten Straßen mit Dächern von Leincwand bedeckt. Die Strah¬
len der Mittagssonne sind hier im Sommer sehr gefährlich. Das
Kind einer Dame aus Neapel, die zum Besuch nach Marseille
gekommen war, lief in der Mittagsstunde in einen Garten hin¬
aus, sank augenblicklich vom Sonnenstich getroffen hin, und starb
wenige Stunden darauf. Dagegen ist die Herrlichkeit der Som¬
mernächte unbeschreiblich, besonders wenn der Vollmond vom rei¬
nen, beinahe schwarzblauen Himmel hernieder strahlt, mit einer
Pracht, von der nur unsre kältesten Winternächte einen Begriff
geben können. Dann eilt Alles hinaus, und selbst angesehene
Familien sicht man in den Straßen vor den Hausthüren sitzen,
um der köstlichen Kühlung der wunderschönen Nacht zu genießen.
Die schönste Jahreszeit ist der Herbst. Mild und segensreich
herrscht er vom Oktober an bis spät im December; oft braucht
man erst im Februar Kaminfeuer anzuzünden. Die kalte Regen¬
zeit, die hier zu Lande Winter heißt, dauert etwa drei Wochen.
Auch während derselben bleibt die Lust mild, und selten bemerkt
man des Morgens ein wenig Reif oder dünnes Eis; ein paar
Stunden Schnee sind die größte Seltenheit."
„Das Land um Marseille ist reich an Allem, was man zum
Leben bedarf. Gemüse, besonders mehrere Arten von Artischocken
und Blumenkohl, sind im Ueberfluß zu haben. Die köstlichsten
Früchte stehen überall zum Verkauf. Die marseillcr Feigen sind
berühmt, aber auch alle andere Gattungen des ausgesuchtesten Ob¬
stes, Melonen, Trauben, Pfirsichen, Aprikosen, Granatäpfel und
Mandeln im Ueberfiuß. Die spanischen und italienischen Küsten
schicken Orangen, Citronen und Arbusen; die Levante Datteln,
Pistazicnnüffe und andere Früchte. Alle werden zu unglaublich
wohlfeilen Preisen verkauft, und es ist eine wahre Freude, sie
überall in großen Körben, malerisch gruppirt, in der höchsten
Vollkommenheit zu erblicken. Auch an vortrefflichen Fischen aller
Art fehlt es nicht; so auch an Austern, Muscheln und allen Gat-