Full text: Bilder-Atlas zur Geographie von Europa

Rußland. 5\ 
Wolga int Norden und Osten erfüllt. Hier liegt im Mittelpunkte des Reiches das „heilige" 
Moskau (800,000 Einwohner), der geistige und wissenschaftliche Brennpunkt des echten, un- 
verfälschten Russentums, das sich jeglichem westeuropäischen Einfluß feindlich gegenüberstellt. 
Die Stadt dehnt sich weit um das Nationalheiligtum, den Kreml, aus, der mit seiner orienta- 
lischen Pracht der Paläste und Kirchen ein sprechendes Zeugnis für die halbasiatische Kultur 
Rußlands gibt. Durch seine zentrale Lage und begünstigt durch die von allen Seiten sich er- 
schließenden Wasserstraßen ist Moskau früh ein Sitz der Industrie und des Handels geworden 
und nimmt in ersterer Einsicht für das ganze Reich eine führende Stellung ein. 
Die Moskwa abwärts führt die Wasserstraße zur Gka, dem zweiten, das Zentrum des 
Landes durchziehenden Hauptquellarme der Wolga, mit der sie sich bei Nishnij Nowgorod 
(73,000 Einwohner), der berühmten Messestadt, vereinigt (S. J7^). Der äußerst günstigen 
Lage an den beiden großen Flüssen verdankt die Stadt ihre Bedeutung für den Handel zweier 
Erdteile. Malerisch breitet sich die Oberstadt mit ihren sauberen Straßen und stattlichen Ge- 
bänden am rechtsseitigen Hochufer der Wolga aus, das an 200 in den Wasserspiegel der beiden 
Ströme überragt. Die Unterstadt am Wasser bilden Handelsstraßen und die Landeplätze 
für die Dampfer. Auf imposanter Holzbrücke geht es über die mächtige Oka, die hier, wie 
die Wolga, fast einen Kilometer breit ist, zur Messestadt zwischen Gka und Wolga. Die Mehr- 
zahl der Däuser dieses Stadtteils sind kleine, ein- oder zweistöckige Gebäude aus Stein, zwischen 
denen vereinzelt größere Bauwerke, Lagerräume, Hotels oder öffentliche Gebäude über die 
Masse emporragen. Geradezu unbeschreiblich ist das Gewühl der Kaufleute und Händler, die 
hier aus dem Grient und Gccident sich ein Stelldichein geben. Wiewohl infolge der Zunahme 
und Erleichterung der Verkehrsmittel und Verkehrswege der Umfang der Messe (wie der aller 
ähnlichen großen Handelsmärkte) in den letzten Jahrzehnten abgenommen hat, so werden doch 
immer noch in den wenigen Herbstwochen 200 — 500 Millionen Rubel umgesetzt. 
Vier und einen halben Tag währt die Fahrt von Nishmj bis ans Kaspische Meer, wie 
bei allen russischen Flüssen, so hat man auch an der Wolga rechts das Berg- (S. 1(75), links 
das Wiesenufer, eine niedere, endlos breit sich hindehnende Ebene, die abwechselnd wiese, 
Feld oder Heide trägt. Ihre größte Breite erreicht die Wolga in der Gegend von Saratow, 
\900 m, ihre Tiefe schwankt zwischen ^ und 32 m. Bald unterhalb Nishnij Nowgorod wird 
es still auf dem Strom, weit und leer dehnt er sich vor dem Beschauer aus. Nur selten be- 
gegnet einem ein Passagierdampfer, selten auch ein kleiner Schlepper, der eine Reihe von 
Frachtkähnen hinter sich her zieht. Boote oder kleinere Schiffe, die die Fläche beleben könnten, 
fehlen gänzlich. Die Städte liegen weit voneinander. Aber gerade in diesem Bilde offenbart 
sich am deutlichsten Rußlands Natur, seine kolossale Größe und Einfachheit, und diese Momente 
wirken erhebend auf den Menschen durch das Majestätische, das in ihrer Ruhe und in ihrer un- 
absehbaren weite und Breite liegt. Friede senkt sich da auch in das Gemüt, und man empfängt 
den Eindruck einer ergreifenden, imposanten und eigenartigen Naturschönheit. Dazu kommt noch, 
daß „Mütterchen Wolga" mannigfach mit der Geschichte, Sage und Poesie des russischen Volkes 
verknüpft ist, ähnlich unserem „Vater Rhein". Auch jetzt noch ist die Wolga die Hauptverkehrs- 
ader Rußlands zwischen Grient und Gccident, und über 20,000 Schiffe aller Art dienen diesem 
großen Güteraustausch. BeiSamara beginnt dann der großeSchienenweg, der überUfa zu den 
sibirischen Ländereien hinüberführt, und dessen Ende am Gestade des Stillen Gzeans liegen wird. 
Ostlich und südlich von Samara breitet sich die Steppe aus in endloser Ode und Dürre; 
gegen Westen aber zieht der breite Streifen der wundersam ergiebigen „Schwarzen Erde" 
hin, der bis Kiew am Dnjepr reicht und die Getreidekammer Rußlands ist. Daher ist Sa- 
mara auch wichtig als großer Getreidemarkt. 
was Moskau in politischer, Nishnij Nowgorod in merkantiler Einsicht, ist Ki ew (S. \75) 
in religiöser Beziehung für Rußland. Es ist die wiege des Christentums im Zarenreiche und 
sein besuchtester Wallfahrtsort. Stolz thront das prächtige Alt-Kiew mit seinen Festungswerken 
und zahllosen Golddächern der Kirchen auf dem etwa 50 rn ansteigenden Hochufer des Dnjepr, 
während die blauen Fluten des 700 — 800 rn breiten Stromes die tiefer gelegenen Teile der 
Stadt, das Handelsquartier, bespülen. 
Den südlichsten Teil des Reiches endlich erfüllt die Steppe (S. J76), wo die Kosaken un- 
gehenre Werden von Pferden, Rindern, Schweinen und Schafen züchteil. Die dürre, baumlose
	        
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