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IX. Die Königreiche Schweden und Norwegen.
erfüllte das Meerwasser die langen schmalen Täler und machte sie zu Fjorden.
Von dem Gebirgslande an der Küste blieben die Schären als letzte Reste zu¬
rück. Mit der Zeit werden die Fjorde durch den Schutt, den die Gießbäche mit-
bringen, immer seichter werden.
6. Norwegens Landwirtschaft.
Das Königreich Norwegen ist ungefähr so groß wie Großbritannien und
Irland oder Preußen; aber es zählt nicht viel mehr Einwohner als Dänemark
oder Berlin und ist also sehr dünn bevölkert. Das wundert uns nicht. Es liegt
hoch im Norden und ist zugleich sehr gebirgig. Eigentlich müßte es in Norwegen
noch viel kälter sein. Es hat aber ein feuchtwarmes Seeklima. Der warme
Golfstrom fließt an seiner Küste vorüber und verbreitet namentlich im Winter
viel Wärme ins Land hinein. Kein Hafen an der ganzen Küste friert im Winter
zu. Besonders die inneren Teile der Fjorde sind bevorzugt. Hier haben die
kalten Nordwinde keinen Zutritt. Die Südabhänge lassen noch gutes Obst reifen.
Am Hardangerfjord z. B. gibt es Kirschbäume, deren Stamm ein Mann nicht
umspannen kann. Selbst der nördlichste Fjord von Drontheim liefert noch ganze
Schiffsladungen von Obst in den Handel. Im Winter haben die Gegenden
an den Fjorden 10 bis 20 Grad mehr Wärme, als ihrer nördlichen Lage ent¬
spricht. Bergen z. B. hat mit Köln und Triest gleiche Januarwärme; es
ist also milder als Berlin. Selbst Hammerfest am Nordkap hat keinen
kälteren Winter als Kristiania. Die Januartemperatur schwankt an der
Westküste um den Nullpunkt. Die südlichen Fjorde haben keinen so strengen
Winter wie das östliche Deutschland. Aber die Sommer sind kühl und trüb.
In Bergen z. B. ist es im Durchschnitt gerade so warm wie in München. Die
vorherrschenden Südwestwinde bringen viele Niederschläge.
Das feuchtwarme Seeklima mit den milden Wintern und den kühlen Som¬
mern macht das Land bis zum Nordkap hinauf besiedelnngsfähig. Freilich sind
drei Viertel des Landes völlig unbenutzbar. Deswegen ist Norwegen auch so
dünn bevölkert. Für den Ackerbau bleibt nur ein äußerst geringer Teil des
Landes. Norwegen hat das wenigste Ackerland unter allen Staaten Europas.
Der Boden ist fast überall felsig und hat nur selten eine genügend tiefe Acker¬
krume. An der Küste fehlt das Flachland; das Meer hat die Fjorde, die ein¬
stigen Täler, unter Wasser gesetzt. An günstigen Stellen baut man aber Hafer
und Gerste und selbst Roggen und Weizen. Hafer ist die gewöhnliche Getreide¬
art; aus Hafer bäckt man meistens auch Brot. Doch muß man viel Getreide
einführen. Das Brot formt man in knchenartige Scheiben und versieht sie in
der Mitte mit einem Loch. Um es aufzubewahren, steckt man es auf Stangen
oder zieht eine Schnur durch die Löcher. Man bäckt nur selten einmal; das Brot
ist dann so hart, daß man es brechen muß. Die Kartoffeln liesem reiche Er¬
träge. Das Obst gedeiht gleichfalls gut, denn es leidet nicht durch Nachtfröste.
Die Norweger legen vorzügliche Baumschulen an.
Die Viehzucht kann in Norwegen mehr als der Ackerbau getrieben
werden. Der Graswuchs ist üppig, wo die Bodenkrume genügt. Aber das Wiesen¬
land ist leider nicht sehr groß. Auf den Hochebenen gibt es Sennhirten wie in
den Alpen. Aber erst Ende Juni kann man das Vieh auf die Bergweiden treiben.
In Norwegen kommen aus 100 Einwohner mehr Rinder als bei uns. Die
Lappen im nördlichen Norwegen halten Remitiere. Die Renntiere werden
ungefähr so groß wie ein Hirsch; ihr Kopf ist mit einem mächtigen schaufelför-