Mittlere Geschichte.
Einleitung.
SO^it dem Eintritt des Christenthums in die Weltgeschichte erhält daS
I innere und äußere Leben der Völker eine vollkommene Umgestaltung. Die
» Nationen des Alterthums, welche in der heidnischen Kultur ihren Le-
I benszweck erfüllt hatten, waren nicht mehr fähig, Träger und Förderer
I der christlichen Lebensanschauung zu werden. Volksstämme von Ursprünge
I licher Kraft und nicht minder empfänglicher Natur treten in den Vor7
K dergrund der Geschichte.
Während das Alterthum in den geistreichen, kunstgebildeten Helle-
I nen und den starkmüthigen, willenskräftigen Römern seinen vollkommenen
»Ausdruck fand, schließt sich die mittlere Geschichte vorzugsweise in der
1 liefen, bildungsfähigen Natur der Germanen ab.
Unter der Alleinherrschaft des AuguMs hatte das griechisch-römische
■ Leben seinen Höhenpunkt erreicht. Zu derselben Zeit ging in einen: klei-
■ nen Lande des fernen Ostens, unter einem verachteten und geknechteten Volke
»der Stern des Heils auf, welcher die Welt verjüngen sollte. Wie in
I der Natur der junge Keim aus der Verwesung früheren organischen
»Lebens aufwachsen muß, so sehen wir auch im Völkerleben das Alte
I untergehen, aus dessen Trümmern sich die neue Schöpfung erhebt.
Die frische Kraft, welche der Geschichte eine neue Wendung geben
»sollte, war lange vorhergesehen und erwartet worden. Als der Mo¬
tz ment eintrat und die neue Gotteskraft erschienen war, erkannte man sie
I nicht und suchte sie mit blutigem Hasse zu vernichten. Erst nach langem
I Kampfe verstummten die heidnischen Sibyllen und Orakel, erlosch das
I heilige Feuer der Vesta. Das neue Evangelium trat seinen Triumph*
Izug an und pflanzte das Kreuz als Symbol der Weltreligion auf.
Diese mächtige Entwicklung, das Vergehen des Alten und Keiinem
«des Neuen, bildet den Inhalt der ersten und zweiten von den in dem
«gegenwärtigen Bande behandelten Geschichtsperioden. Sie berichten,
; wie die alte römische Welt dem Träger des neuen Glaubens erlag, den
^kraftvollen Schaaren, die aus Deutschlands dunklen Wäldern hervor-
4 gingen, und auf den Trümmern des weltbeherrschenden Reiches neue
| Staaten unter germanischen Heerkönigen errichteten. Es war ein wehe-
Oeser's Weltgeschichte. II. 7. Aufl. %