Full text: Bilder aus dem westlichen Mitteldeutschland (Bd. 6)

278 Der Harz und seine Umgebung. 
Nach mitleidsvoller Klage über den Unglücklichen ergießt er seine herzliche 
Teilnahme im Gebet: 
„Ist auf deinem Psalter, Cfflie den umwölkten Blick 
Bater der Liebe, ein Ton Über die tausend Quellen 
Seinem Ohre vernehmlich, Neben dem Durstenden 
So erquicke sein Herz! In der Wüste." 
Und dann wendet sich sein Geist den engverbundenen Freunden zu, welche 
zu gleicher Zeit „mit jugendlichem Übermut" sich „auf der Fährte des Wildes" 
befanden, ihnen gute Jagdbeute wünschend, und auch für sich selbst fleht er: 
„Aber den Einsamen hüll' Bis die Rose wieder heranreift, 
In deine Goldwolken! Die feuchten Haare, 
Umgib mit Wintergrün, O Liebe, deines Dichters!" 
Zwar machen die Beschwerden der Reise sich geltend, und fast möchte er 
sie zu hart finden, aber die Gedanken an die entfernten Geliebten geben ihm 
Mut. sie zu überstehen: 
„Mit der dämmernden Fackel Trägst du ihn hoch empor; 
Leuchtest du ihm Winterströme stürzen vom Felsen 
Durch die Furten bei Nacht, In seine Psalmen. 
Über grundlose Wege Und Altar des lieblichsten Danks 
Auf öden Gefilden; Wird ihm des gefürchteten Gipfels 
Mit dem tausendfarbigen Morgen Schneebehangner Scheitel, 
Lachst du ins Herz ihm; Den mit Geisterreihen 
Mit dem beizenden Sturm Kränzten ahnende Völker." 
Am 10. Dezember in der Mittagsstunde stand der Dichter, wie er selbst 
berichtet, grenzenlosen Schnee überschauend, auf dem Gipfel des Brockens, 
zwischen jenen ahnungsvollen Granitklippen, über sich den vollkommen klaren 
Himmel, von welchem herab die Sonne gewaltsam brannte, so daß in der Wolle 
des Überrocks ein brenzlicher Geruch erregt ward. Unter sich sah er ein nn- 
bewegliches Wolkenmeer nach allen Seiten die Gegend überdecken und nur durch 
höhere und tiefere Lage der Wolkenschichten die darunter befindlichen Berge und 
Thäler andeuten. 
Prachtvoll aber hat er zum Schlüsse seines Gedichtes, das er selbst in seiner 
Bescheidenheit als „kaum geregelte rhythmische Zeilen" bezeichnet, den Brocken- 
gipsel geschildert und zugleich aus den lohnenden Bergbau hingedeutet, der an 
den benachbarten Berggipfeln blüht: 
„Du stehst mit unerforschtem Busen Auf ihre Reiche und Herrlichkeit, 
Geheimnisvoll offenbar Die du aus den Adern deiner Brüder 
Über der erstaunten Welt, Neben dir wässerst." — 
Und schaust aus Wolken 
Wir können nicht umhin, an dieser Stelle auf die lebensvolle Schilderung 
hinzuweisen, welche Goethe in seiner „Walpurgisnacht" der Faustdichtung von 
der Brockenszenerie, namentlich von den Felsblöcken und Waldbäumen des Gipfels, 
gegeben hat. Wir hören Faust sagen: 
, „Seht die Bäume hinter Bäumen, Winden sich aus Fels und Sande, 
Wie sie schnell vorüberrücken, Strecken wunderliche Bande, 
Und die Klippen, die sich bücken, Uns zu schrecken, nus zu fangen; 
Und die langen Felsennasen, Aus belebten, derben Masern 
Wie sie schnarchen, wie sie blasen! — Strecken sie Polypenfasern 
Und die Wurzeln, wie die Schlangen, Nach dem Wanderer."
	        
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