50 Handel und Gewerbe in Schlesien.
Auf solche Weise mußte dieser Industriezweig von Jahr zu Jahr an Be-
deutung gewinnen; und im 17. Jahrhundert, nach dem Verfall des großen
Hansabundes, als die Verbindung mit Amerika schon im vollen Gange war,
konnten die leinenen Artikel ihre herrschende Stellung behaupten.
Deutschlands ergiebiger Flachsbau, die billigen Arbeitslöhne konnten selbst
die schädlichen Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges überwinden, und als
die Wollindustrie durch den Verlust der Schafherden im Kriege daniederlag,
blieb die Leinenindustrie auf ihrer Höhe. Je mehr Anforderungen die sich immer
mehr zivilisierende Welt an ihre Erzengnisfe stellte, nm so höher stieg der Ruf
und die Fertigkeit der deutschen Leinweber.
In Schlesien ist Friedrich dem Großen nicht allein die Erhaltung und
Förderung der Hausindustrie und des Flachsbaues, sondern auch die Blüte dieses
Erwerbszweiges zu danken. Seinem Einfluß gelang es, den überseeischen Ver-
kehr über Hamburg und Bremen und die Ausfuhr fchlesischer Leinwand über
Augsburg nach Italien auf regem Fuße zu erhalten.
Erst das Ende des 18. Jahrhunderts fing an der deutschen Leinenindustrie
verderblich zu werden. Spinnerei und Weberei waren auf den Handbetrieb an-
gewiesen. In England dagegen arbeitete man seit dem Anfange des 19. Jahr-
Hunderts mit Flachsspinnmaschinen; und so kam es, daß England bereits im
Jahre 1825 ganz unabhängig von Deutschland dastand und mit seinen Spinnerei-
erzengnifsen auf dem Kontinent festen Fuß fassen konnte. Bis zum Jahre 1849
überflutete die englische Industrie schon alle deutschen und überseeischen Märkte
mit ihren leinenen Produkten. Aber damals hatte sich schon wieder Deutschlands
Flachsbau, welcher bedeutend nachgelassen hatte, etwas gehoben und mit ihm
die Leinwandindustrie, die schwere Zeiten durchzumachen hatte. Seitdem ging
es in Deutschland rüstig vorwärts; im Jahre 1850 arbeiteten 70 000, im
Jahre 1875 ungefähr 300 000 Spindeln.
In Deutschland unterscheidet man drei verschiedene Qualitäten gebleichter
glatter Leinwand von Ruf: die Bielefelder, sächsische und schlesische Leinwand.
Die Bielefelder Fabrikate^), aus rohen Garnen gewebt, waren noch vor 30
Jahren der Stolz Deutschlands; in der Gegenwart aber, wo das Publikum
der äußeren Ausstattung größeren Wert beilegt als dem Gehalt, wo die Bleiche
die Garne und Gewebe übermäßig angreift, wo alles in viel kürzerer Zeit seiner
Vollendung zuschreiten muß, hat auch das früher so hochgeschätzte Bielefelder
Leinen an Güte und Ruf verloren und führt einen harten Kampf gegen bel-
zische und englische Gewebe.
Sachsen und Schlesien liefern Creas, aus gebleichtem Garne gewebt und
dann im Stück nachgebleicht; die vielen Qualitäten dieser Art Leinwand bilden
für Deutschland sowohl als Export- wie als Jnlandartikel eine Hauptrolle in
der Leinenbranche.
Wie kam es, fragen wir, daß die Leinwandfabrikation nicht nnr in Schlesien,
sondern auch in andern Gegenden zurückging? Hervorgerufen wurde dieser Rück-
gang durch die Baumwolle. Heute bilden baumwollene Gewebe schon weit und
breit Ersatz für Leinen. Unsre Hausfrauen, welchen noch vor 30—40 Jahren ein
voller Schrank mit weißleinenen Wäschegegenständen als Zierde des Haushaltes
*) Unser Deutsches Land und Volk Bd. VI., S. 79.