362 III. Länder- und Völkerkunde. A. Europa.
klanglosen Norden ist bei der Fischertracht auf Mönchguth, daß das Aus-
zeichnende beim Kleide der Männer nur im Schnitt, nicht in der Farbe
liegt, die als ein abscheuliches Gemisch von Schmutzbraun und Theerbraun
sich darstellt. Nur die Frauen tragen noch derbe reine Farben an Rock und
Mieder. Der Mönchguther ist noch heutigen Tages ein Mann der ver-
gangenen Zeit, seine Sitten, seine Sprache, sein Kleid sind sich gleich ge-
blieben seit Jahrhunderten, weil er auf seiner Halbinsel sich von der übrigen
Welt völlig abgeschlossen hielt. Alle Männer sind hier Lootsen und Fischer,
die See ist ihre Heimat. Sie treiben weder Ackerbau noch Viehzucht, kennen
und lernen kein Gewerbe, kümmern sich durchaus um Nichts, als um die
Kunst, ein Segelboot durch brausenden Wogenschwall zu steuern. Darum
stirbt vielleicht die Hälfte der mönchguther Männer auf der See. Keiner
von ihnen versteht zu schreiben, und wäre auch dies der Fall, so verschweigt
er es sorgfältig. Seinen Namen unterzeichnet er, wenn nöthig, mit einer
chifferartigen Figur, die bei jedem eine besondere ist. Ost findet man die-
selbe über seinem Hauseiugange in Holz geschnitten. Keiner verläugnet sie
als die seine, und wollte er es thun, alle Mönchguther würden gegen ihn
auftreten. Findet der Mann von Mönnichgaud, wie er selbst sein Länd-
chen nennt, auf der See nichts zu thun, so ergibt er sich, gerade wie der
Helgoländer, dem Nichtsthun. Frau und Töchter mögen fehen, wie sie mit
der Wirtschaft im Hause, mit der Bestellung des Ackerlandes, mit der Füt-
terung und Pflege des Viehes zurecht kommen, den Mönchguther kümmert
das wenig. Rauchend und Tabak kauend schlendert er umher am Strande,
lugt aus, ob nicht ein Segel in Sicht ist, oder legt sich auf den Bauch und
sieht stunden-, ja halbe Tage lang in die See. Ganz besonders verhaßt ist
ihm das Kriegshandwerk. Damit er ja nicht Soldat werden darf, greift er
zu einem verzweifelten Mittel — der Selbstverstümmelung. Lieber einen
Finger missen, als den zweifarbigen Rock, Pickelhaube und Muskete tragen,
ist Grundsatz jedes eingefleischten Mönchguthers.
Der Ausfall des Häringssanges ist eine „brennende Frage" für die
ganze Insel. Kommen im Frühjahr die Häringe in zahllosen Schwärmen
angeschwommen, dann sind die Leute auf Rügen sür's ganze Jahr lustig,
wie die Weinbauern nach einem guten Herbst. Beide beten um volle Fässer,
und das volle Häringssaß läßt sich |o wenig mit Sicherheit prophezeien, wie
das volle Weinfaß. Die Rügen'sche Chronologie zählt nach guten Härings-
jahrgängen wie die Rheingan'sche nach guten Weinjahrgängen. Aber die
Olympiaden der guten Häringsjahre sind glücklicher Weise nicht so lang wie
die Olympiaden der guten Weinjahre. Selbst der Bauer auf Rügen, der
keinen Fischfang treibt, ist wenigstens stolz darauf, eine Tonne „selbst ein-
gemachter" Häringe, die er „grün" aufgekauft, im Hause zu haben, und setzt
sie dem Fremden mit den nämlichen selbstgefälligen Randbemerkungen vor,
wie der Weinbauer seinen Haustrunk als eigenes Wachsthum.