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torium. Eine andere eigentümliche Volkssitte ist die des „Haberfeld-
treibens". Hat jemand durch Wucher, Geiz, Unsittlichkeit oder sonst
ein Laster, das von den Gerichten nicht direkt bestraft werden kann, den
öffentlichen Unwillen erregt, so versammelt sich vor seinem Hause des
Nachts ein vermummter Hause bei Fackelbeleuchtung mit Waldteufeln,
Pfeifen, metallnen Becken, alten Töpfen, mit denen sie, unterstützt von
Geschrei und Gejohle, einen Höllenlärm so lange vollführen, bis der
zitternde Miffethäter in dem Haufen erscheint. Hier werden ihm von
einem Sprecher seine Vergehen vorgehalten, und mit dem Versprechen
der Besserung beruhigt, gehen die Leute auseinander.
Bergsteigen und Wildern ist ihnen, wie allen Bergbewohnern, an-
geborene Leidenschaft, dabei lockt auch die nahe österreichische Grenze
zur Schmuggelei, und alles ist ihnen lockend, was Gefahren bringt,
die hier weit größer sind, als irgendwo, wozu sich aber auch hier
weit mehr Schlupfwinkel bieten. In vielen Familien erbt sich dieses
Geschäft vom Großvater auf den Urenkel fort; und manche hat schon
im Kampfe mit den Grenzwächtern ihr Oberhaupt eingebüßt. Aber
in stetem Kampf mit den Elementen und dem Gesetz, geht der bayrische
Älpler gestählt und ausdauernd daraus hervor, mit scharfem Blick
und feinem Gehör jede Gefahr erkennend und sie mit athletischer Kraft
bekämpfend; er ist einer jener Söhne der Natur mit allen ihren
schlimmen, aber auch vortrefflichen Eigenschaften, die in unfern Tagen
nur noch schirmende Berge oder dürre Steppen vor dem unaufhaltsamen
Strom der Kultur, die alle Welt beleckt, bewahren.
50. Die Zugspitze und der Eibsee.*
Den westlichen Höhepunkt der oberbayrischen Alpen bildet der Wetter-
stein. Er ist der König im Westreich, wie der Watzmann im Osten,
kein Haupt erhebt sich höher, keine Krone trägt reicheres Felsengezack
als die seine. Hier hat die Natur eine wilde Arbeit gethan, als sie
diese Gipfel schuf. Hier sind die Berge trotziger und rauher, als rings
im Land, es ist eine Versammlung von Fürsten, jeder von ihnen heischte
seinen Thron und sein Königsgebiet. Am höchsten aber ragt die Zug-
spitze hervor, die von dem übrigen Stock des Wettersteins fast völlig
losgerissen ist. Znr Rechten rückt der Eibsee an ihre Wände heran,
zur Linken hat sich die Isar den Weg gebahnt und bricht durch ein
schmales Thal ins Flachland. Eine Welt von unnahbarer Wildheit
liegt in diesen Felsen, meilenweite Wüsten erstrecken sich durch das Ge-
stein, kein Baum und keine Pflanze; urweltlich groß ist diese Einsamkeit.
Drunten aber ist das Gesild weithin eben und die heiße Sonne wirft
ihren Strahl auf die hohen Wiesen und das goldene Ährenfeld.
Dicht an der Zugspitze liegt Parteukirchen, das schon die Römer
auf ihrem Wege ius deutsche Land erbaut haben; ihr Lager stand hier
* Nach H. Schmid u. K. Stieler.
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