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und Naturkräftigkeit ausgezeichneten Menschenschlages dar. Der Cha-
rakter des Kräftigen und Belebten ist den Bergvölkern aufgeprägt. Im Hoch-
gebirge ist der Mensch mehr als anderswo auf sich selbst angewiesen; er muß
hier Schwierigkeiten überwinden, die anderwärts fehlen; er athmet hier stets
gesunde Luft ein — denn „der Hauch der Grüfte steigt nicht hinauf iu's Reich
der Lüfte — uud er war wenigstens bis zur Vervollkommnung und Ver-
mehrnng der Verkehrsmittel dem Luxus und der Verweichlichung schwerer
zugänglich als der Bewohner der Ebene. Darum besitzt er aber auch gewöhn-
lich einen kräftigen, wohlgestalteten Körper; starke Nerven und enorme Muskel-
kraft siud ihm eigen, und erstaunlich ist die Kraft, mit der er große Lasten
ohne bedeutende Anstrengung bergauf und bergab zu tragen vermag. Ritter
berichtet uns in seiner Erdkunde von Neger- und Hindu-Bergvölker», unter
denen sich kraftvolle Gestalten und große Lastträger vorfanden. *) Aber auch
schon an unfern europäischen Aelplern machen wir dieselbe Wahrnehmung.
Nicht verschweigen dürfen wir hier, daß freilich loeale physische Eigenthüm-
lichkeiten oder auch andre Verhältnisse hier und da, wie z. B. bei bei den häß-
liehen Cretins der verschiedenen Gebirge, die grellsten Gegensätze hervorbringen.
b. Gemüthsleben. Die gesunden Bewohner der von reinen, elasti-
scheren Lüften umgebenen Alpenhöhen zeichnen sich meist auch durch heiteren
Sinn und fröhliches Wesen aus: so vornehmlich in Appenzell und an-
deren Gebirgsganen der Schweiz, in Tyrol, Steiermark, im Tatra-Gebirge,
im Baskenlande, auf den abefsinifchen Gebirgen, dem Himalaya, Nilgerry
und anderwärts. 2)
Trotzdem daß sich der Gebirgsbewohner oftmals durch seine Gewandt-
heit in fremden Landen Behaglichkeit und Lebensglück erwirbt, zieht es ihn
doch immer wieder mächtig zurück nach den Thälern und Schluchten seiner
Berge. Heimathsliebe und Heimweh sind wohl bei keiner andern Art
von Menschen allgemeiner und mächtiger als bei den Kindern des Gebirges.
Sicherlich rührt diese Heimathsliebe von der Eigentümlichkeit des Gebirgs-
lebens und von der Gewohnheit an eine besondere Art und eine gewisse
Mannichfaltigkeit von Natureindrücken her. Denn mit der Natur von Jugend
auf verwachsen, durch sie tagtäglich in Anspruch genommen, auf ihren Um-
gang fast allein hingewiesen, sollte da nicht der Alpenbewohner vorzugsweise
vou lebendiger Liebe zur Heimath erfüllt werden? Aus der Fremde zurück-
gekehrt mit Reichthümern, wird er unmerklich von der Alpennatur dermaßen
wieder gefesselt, daß er sich, trotz jeuer, der einfachen alpinischen Lebensweise
und den alten Gewohnheiten der Väter wieder zuwendet und fremde Bedürf-
nisse uud fremde Lebensweise alsbald ablegt. (Vgl. die Bewohner des
Passeierthales.) Diese Sehnsucht nach der Gebirgsheimath mag aber wohl auch
zum Theil durch die Verschiedenheit körperlicher Einflüsse verstärkt werden, wie
man denn uuter Anderem auch gefunden hat, daß hochwohnende Menschen
ebenso durch das Herabsteigen in die dichtere Lust niederer Gegenden körper-
lich genirt werden, als die Bewohner von diesen durch das Erklimmen der
von dünnen Luftschichten umhüllten Pässe und Gipfel des Hochgebirgs. 4)
Die Gebirgsuatur ist besonders geeignet, religiösen Sinn zu wecken
in denjenigen, die täglich mit ihr verkehren. Der Gebirgsbewohner ist gro-
1) Ritter, Erdkunde. I. 343. III, 881. IV, 143. V, 1031. — 2) l c. I, 184.
III, 919. 1052. V, 977 ff. 1031. — 3) Kutzen, das deutsche Land I, 152 ff. —
4) Barry, Besteigung des Montblanc, Einleitung.