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8. Der Kranz, das Symbol des Hellenentums.
Götter zu ehren, glaubten sie nicht nur die Erstlingsfrüchte der Felder, die
kräftigsten Tiere ihrer Herden, sondern vor allem die Blüte der Jugend in
ihrer Gesundheit und Kraft den Göttern darstellen zu müssen, und zwar nicht
bloß in feierlichen Aufzügen, in festlichen Tänzen, sondern auch in freudigen:
6 Wettkampfe sollten ihre Jünglinge zeigen, daß sie die reichlich empfangenen
Gottesgaben zu voller Entwicklung zu fördern nicht trüge gewesen seien. So
sind die Wettkämpfe ein Opfer des Dankes, dessen die Götter sich freuen.
Darum sind alle regelmäßigen Wettkämpfe, die wir in geschichtlicher
Zeit nachweisen können, an Götterfeste geknüpft; ihre Schauplätze sind ur-
lOsprünglich die Tempelhöfe, die eigentlichen Zuschauer die Götter. Ihnen
wird ja alles verdankt, was zum Wettkampfe befähigt: die Spannkraft der
Muskeln, die im Laufe ausdauernde Brust, die Harmonie der Glieder, die
Stimme des Gesanges wie die geistbeseelte Rede; — was also immer au
Ehre und Gewinn dadurch erworben wird, gebührt von Rechts wegen der
15 Gottheit. Der Mensch hat neben ihr keinen Anspruch. Die gewonneneu
Dreifüße werden also zum dauernden Schmucke um das Haus des Gottes
aufgestellt, und wer den goldenen Siegespreis, den er mühevoll genug errungen
hat, etwa heimtragen wollte, der würde den: Gotte das Seine nehmen, er
würde der Strafe des Tempelraubes verfallen, und die Gemeinde, die ihn
20 schützen wollte, müßte aus der Genossenschaft des gottesdienstlichen Vereins
ausgestoßen werden.
Je deutlicher sich die Hellenen in ihrem Volksbewußtsein von den Bar¬
baren unterscheiden lernten, um so lauterer und eigentümlicher haben sie die
Idee des Wettkampfes entwickelt, und diejenigen unter ihnen, welche jenen
25 Gegensatz am kräftigsten darzustellen berufen waren, die Dorier, haben am
entschiedensten dahin gewirkt, jede Rücksicht auf Eigennutz und alle unreinen
Beimischungen zu entfernen. Die Wertpreise verschwinden, damit keiner, den
schnöder Gewinn anlockt, an den heiligen Schauspielen sich beteilige. Der Kranz
von Blättern, der Laubzweig, die wollene Binde haben ja keinen andern Wert,
30 als daß sie Symbole des Sieges sind, die von den Göttern selbst oder in der
Gottheit Namen von den stellvertretenden Preisrichtern vor den Augen des
Volkes ausgeteilt werden.
Der Kranz ist von dem Baume, der dem Gotte heilig ist. Wer
mit dem Kranze angetan wird, stellt sich dadurch als einen dein Gotte Zu-
35 gehörigen dar. Auch die Kränze pflegte der Sieger nicht als Eigentum mit¬
zunehmen, sondern im Heiligtums der heimatlicheu Gottheit, die feine Jugend
gnädig behütet hatte, aufzuhängen.