218
E. In der Schweiz.
zu keiner Fruchterde aufgelöster Granit. Darum ist die Umgebung der unter-
halb der Paßhöhe auf Tessiner Gebiet stehenden Gebäude, des Posthauses,
des Prosagasthofes und des Hospizes, durch keinen Baum oder Strauch, kein
Rasenplätzchen belebt, und selbst die kleinen, schwärzlich grünen Seen inmitten
der Felstrümmer sind von keinem Erlen- oder Weidengebüsche umkränzt, von
keiner Mooswiese eingefaßt.
Wann und von wem das erste gastfreundliche Hans in dieser nnwirtbaren
Höhe erbaut wurde, wer vermöchte das genau zu bestimmen! Im 12. Jahr-
hunderte soll die Benediktinerabtei Disentis im Vorderrheinthale hier oben eine
Kapelle erbaut und nach dem Hildesheimer Bischof Godehardns benannt haben.
Damit sei der ganzen Gebirgsgrnppe der Name verliehen worden. Eine Her-
berge scheint jedoch erst im 14. Jahrhunderte auf der Paßhöhe errichtet worden
zu feiu. Das später vergrößerte und von Kapuzinern verwaltete Hospizge-
bände hat mancherlei schlimme Schicksale erfahren. Im Jahre. 1775 wurde
es von einer Lawine weggerissen, und das durch milde Gaben wiederhergestellte
Haus wurde 1799 von den Franzosen abermals zerstört. Von neuem erstand
das Hospiz aus den Trümmern und wurde durch wohlthätige Sammlungen
und durch Beiträge der Urner und Tessiner Regierung zun: Besten der Rei-
senden unterhalten. Vor einigen Jahrzehnten verließen die Kapuziner die
Einöde und ein Tessiner Spitalvorsteher verwaltete das Hospiz.
Wie andere gastliche Stätten aus den Schweizer Alpenpässen, kann auch
das Gotthardhospiz auf eine reichgesegnete Thätigkeit zurückblicken. Obgleich zu-
meist nur durch freiwillige Gabeu der Wohlthätigkeit unterhalten, konnte das-
selbe doch jährlich Tausenden von unbemittelten Reisenden unentgeltlich Unter¬
kommen und Pslege gewähren. In der Zeit vom Oktober 1876 bis 1877 wurden
z.B. 15 650 Persoueu aufgenommen, welche 52 780 Portionen Lebensmittel und
obendrein teilweise auch Kleidungsstücke erhielten. Im Januar 1863 wurden
hier nach einem gewaltigen Schneefalle etwa 100 Personen acht Tage lang be-
herbergt, bis der Weg wieder offen war. Und so mancher Wanderer fand auf
dem Hospize nicht bloß vorübergehende Aufnahme und Bewirtung — er verdankt
ihm fogar das Leben. Wenn jene furchtbaren Schneestürme, welche in der
Volkssprache Gnxeten genannt werden, um den Gipfel des Gotthard toben,
die Luft, in Millionen schneidender Eiskrystalle verwandelt, sich wie eine Binde
um die geblendeten Augen legt, die erstarrende Kälte den Atem erschwert, die
Glieder'lähmt, uud der Tod in seiner schrecklichsten Gestalt den hilflosen Wanderer
bedroht — da ist es oft nur dem Mute und der Aufopferung der Hospizbewohner,
die iu solchen Stunden der Gefahr in Begleitung der weltberühmten Hunde
die Wege absuchen, zu danken gewesen, daß der Verirrte oder Verschüttete von
dem sicheren Tode errettet wurde.
Unter den Beschwerden der Winterszeit hat aber nicht bloß der Wanderer