II. Hauptteile der Stadt.
Zusammenkunft mit Teiresias im Kreise der Bewohner des
Hades, nach der homerischen Nekyia im u. Buche der Odyssee.
Für beide Darstellungen bildeten die genannten epischen Schilde¬
rungen nur die Grundlage, während der Künstler sowohl in der
Anordnung der verschiedenen Gruppen als in der Benennung der
einzelnen Figuren, denen er fast durchgängig die Namen bei¬
geschrieben hatte, sich die volle Freiheit selbständigen Schaffens
gewahrt und nicht etwa bloße Illustrationen zum Epos, sondern
zwei in echt epischem Geiste gehaltene, in Linien und Farben statt
in Worte gekleidete Gedichte geschaffen hatte, von deren Kom¬
positionen wir noch mit Hilfe der eingehenden, wenn auch nicht
eben übersichtlichen Beschreibung des Pausanias (X, cap. 25—31)
ein annähernd sicheres Bild — nur für die Nekyia bleiben noch
viele»Einzelheiten der Anordnung unsicher — entwerfen können
(B.’ Gesch. der Kunst 466).
Östlich vor dem Apollotempel stand der große Opfer¬
altar des Apollo, auf welchem die täglichen Opfer dargebracht
wurden; er war einst von den Chiern gestiftet worden. *)
In der Nähe des Altars stand ein eherner Wolf, ein
Geschenk der Delphier. Nach einer Sage soll einst ein Wolf am
Abhang des Parnaß einen Menschen getötet haben, der von den
Schätzen des Tempels geraubt hatte. Er kam dann alle Tage
heulend zur Stadt, bis endlich die Delphier ihm folgten und im
aide das Eigentum des Gottes wiederfanden.2)
Das Bild dieses dem Gotte von alter Zeit her heiligen Tieres
hatte wohl eine tiefere Bedeutung und sollte ein Sinnbild des Asyls
und der Sühne sein, die Apoll dem von der Blutrache verfolgten
flüchtigen Mörder verheißen hatte.
Der östliche Teil des heiligen Bezirks war von Weihgeschenken
und den sogenannten Schatzhäusern (d-ijaavQol) angefüllt. Es
waren dies kleine Rundbauten, teils über der Erde, teils kellerarlig
unter ihr angelegt und dazu bestimmt, die Weihgeschenke auf¬
zunehmen, die im Tempel selbst keinen Platz fanden oder ihrer
J) Herodot II, 135.
2) Paus. X, 14, 7.