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über die niedrigen Futtermauern hinweg dem Treiben der Menschen 
auf der Tenne zuschauen. An der schmalen Seite, der Einfahrt gerade 
gegenüber, befindet sich auf erhöhtem Boden des Hauses innerstes Heilig- 
tum, der Herd; er nimmt die Mitte der eigentlichen Wohnstätte ein, 
so daß die daran sitzende Hausfrau zu gleicher Zeit alles übersehen 
kann: Kinder und Gesinde, Pferde und Rinder, alles, was aus und 
ein geht und was auf der Tenne vorgeht. Zu ihrer Seite steht das 
immer schnurrende Spinnrad. Über dem Herdfeuer brodelt der Kessel. 
Der Rauch steigt aber zu keinem Schornstein hinaus, sondern er sucht 
sich, unter dem Dach entlang ziehend, wo die verschiedenen Schinken, 
Würste und Speckseiten hängen, den Weg zum Eiufahrtsthore hinaus. 
Um den Herd versammeln sich die Familie und alle, die zum Haus- 
stände gehören, zu den Mahlzeiten, zu wichtigen Beratungen und zum 
Gebet. Hier räumt der Wirt willkommenem Gaste den Ehrenplatz ein. 
Zu beiden Seiten des Herdes führen Thüren links in die Familien- 
stube mit den in die Wand eingelassenen Bettschränken, rechts in das 
Prunkgemach, welches nur bei feierlichen Veranlassungen, Hochzeiten, 
Kindtanfschmäusen, Leichenbegängnissen *c. benutzt wird. Das Gesiude 
schläft in Verschlügen neben den Viehständen. 
Uralte Eichen beschatten den Hof und senken ihre Äste auf das 
bemooste Dach des Hauses herab. So wohnt der Bauer in dem alten 
Westfalen, d. i. in dem Münsterlande, noch heute frei und stolz auf 
seinem von den Vätern geerbten Grundstück, seinem Hofe, den er als 
ein unveräußerliches Eigentum betrachtet und den er ungeschmälert mit 
den Verbesserungen, die er getroffen, wieder auf seinen Sohn vererben 
will. Eine Anzahl solcher Höfe, etwa 20 bis 70, machen eine Bauern- 
schast, mehrere Bauernschaften ein Kirchspiel aus. In dem gebirgigen 
Arnsberger Regierungsbezirk, im Sauerlande und im Paderborufcheu 
finden wir jedoch wieder geschlossene Dörfer. 
Die Provinz Westfalen hat 20185 qkm und 2 428 736 Einwohner 
(120 auf 1 qkm). Die Hauptstadt der Provinz ist Münster, aus 
einem Bischofssitz hervorgegangen. Die Stadt birgt manche historische 
Erinnerungen aus jener schrecklichen Episode der Reformationszeit, als 
die „Wiedertäufer" hier das Regiment führten (1533—35), und aus der 
Zeit des Westfälischen Friedens, der in dem Rathaussaale verhandelt 
und abgeschlossen wurde (1648) und welcher der Welt nach dreißig- 
jährigem Würgen die Botschaft brachte, daß endlich „ruhen sollten die 
Spieß' uud Schwerter und ihr Mord".
	        
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