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von zehn Minuten zeigt. Hinter einem Haufen türkischer Lastträger, die,
mit schweren Packen beladen, vorbeilaufen, kommt eine mit Perlmutter
und Elfenbein ausgelegte Sänfte, aus der eine Armenierin hervorguckt.
Zu beiden Seiten gehen Beduinen, in weiße Mäntel gehüllt, und ein be-
jahrter Türke im himmelblauen Kaftan, das Haupt von einem weißen
Turban bedeckt. Neben ihm reitet ein junger Grieche, den sein Dolmetscher
in reich gestickter Jacke begleitet, und ein Derwisch mit großem spitzen Hut,
iu der Kutte von Kamelshaaren, drückt sich auf die Seite, um die Karosse
eines europäischen Gesandten und dessen galonierten Vorreiter vorbeizn-
lassen. Alles zieht an den Augen vorüber, ohne daß man recht die Blicke
darauf ruhen lassen könnte. Ehe wir uns rückwärts wenden, sind wir schon
wieder von einer Schar Perser umgeben, deren kegelförmige Pelz-
kappen wir anstaunen, und wenn sie kaum vorüber sind, sehen wir einen
Juden iu langem, gelbem, an den Seiten offenem Gewände, eine rauh-
haarige Zigeunerin, die ihr Kind in einem Sack auf dem Rücken trägt,
einen katholischen Priester mit Gebetbuch und Stab.
Es ist vollständig natürlich, erscheint aber dem Neuling ganz seltsam,
daß alle diese so verschiedenen Menschen sich begegnen und aneinander vor-
übergehen, ohne sich gegenseitig anzuseheu, gerade wie die Menge in London.
Niemand steht still, alle drängen eilig weiter, unter hundert Gesichtern blickt
kaum ein einziges mit Lächeln ans. Der Albanese im weißen Unterkleid,
die Pistolen im Gürtel, geht an der Seite des Tartaren, der sich in sein Schaf-
fell wickelt. Der vornehme Türke schreitet neben buut geschmückten Eseln,
zwischen zwei Reihen Kamelen. Die Türkin zu Fuß, die verschleierte Skla-
viu, die Griechin im roten Barett, ihre lange Flechten über die Schultern
geworfen, die Jüdin in dem alten Gewände Jndäas, die Negerin, in bunte
Tücher aus Kairo gehüllt, die Armenierin aus Trapezuut, tiefschwarz und
wie eine düstere Erscheinung verschleiert, befinden sich oft in einer einzigen
Reihe, als wollten sie ganz bewußt einander zur Folie dienen. Es ist eine
wechselnde Mosaik aller Rassen und aller Regionen, die sich beständig
mit einer Geschwindigkeit zusammenfügt uud auflöst, der kaum die Augen
folgen können. —
III. Osteuropa.
Die untere Donau.
Hugo Grothe.
Aus „Zur Landeskunde von Rumänien". Angewandte Geographie III. 1. Bd., S. 55. Verlag von
Heinr. Keller, Frankfurt a. M. 1911.
Majestätisch rinnt die untere Donau, Rumäniens erste Lebensader,
dahin, des Landes lange Südslanke umfassend, indem sie es aus einer
Strecke von 1000 km umspült. Bedeutend ist ihre Breitenentwicklung (zwi-
schen 800 und 1400 in), nyd mächtige Dampfer und Segler trägt der Strom.
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