Gang und Gliederung der vorchristlichen Geschichte. ZZ
deren die Völker regierbar sind, wird in Ermangelung der Religion durch
eine auf Erhaltung des leiblichen Daseins der Einzelnen und des ganzen
mechanisch zusammengesetzten und geleiteten Staates berechnete Sitten¬
lehre geübt, deren bedeutsamste Vorschriften sich an den Namen des um das
Jahr 500 vor Ehr. Geb. zu setzenden Confucius knüpfen. Ihr ist die
Idee von Menschenwürde, von einer Pflicht der Reinigung und einem
Berufe zu geistiger Erhebung fremd, und ihr Ziel ist die Erhaltung des
Gleichgewichts im Staate, um dessentwillen sie auf pünktliche Erfüllung
der für öffentliches und häusliches Leben vorgeschriebenen täglichen Ob¬
liegenheiten dringt, mechanischen Ceremoniendienst und geistlose Pedan-
terei pflegt und von den Bedingungen des gesitteten Lebens nur die
Pflege des Ackerbaues und des Rechtes mit ihrer Sorge erreicht. Ob¬
gleich das Volk daher eine geschichtliche Literatur besitzt, bewegt dieselbe
sich in einem Kreise, in welchem sich keine für andere Völker lehrreichen
Erscheinungen ergeben, keine, deren Andenken in dein Volke Kräfte höhe¬
rer Art zu wecken vermöchte. Die Sprache selbst trägt dazu bei, den
Geist des Volkes an Erhebung zu hindern, da sie mit ihren an Zahl
beschränkten und durch Verschiedenheit der Betonung vervielfachten
Wörtern so mühselig zu handhaben ist, daß selbst bei dem engen Jdeen-
kreise des Volkes die Fertigkeit in ihrem Gebrauche den Gelehrten
ausmacht.
6. Indem daher die Uebersicht der Weltgeschichte sich bei gegebenem
Anlasse flüchtige Blicke auf Indien und China zu werfen beschränken
muß, erwartet sie von den auf Erforschung der Sprache und Alterthü-
mer dieser Länder gerichteten Bemühungen noch manchen Aufschluß über
den Gang der ursprünglichen Völkertrennung und die Ausbildung ihrer
Geistesrichtungen, beginnt aber ihren eigentlichen Lauf mit Betrachtung
der Völker des südwestlichen Asiens, die Aegyptier eingeschlossen, die
unter der Herrschaft eines unter ihnen, der Perser, im Laufe der Zeit
zu einer Einheit verknüpft werden. Die ersten Schauplätze sind die
Ebenen großer Ströme, auf welchen sich die äußeren Voraussetzungen
geordneten Lebens am leichtesten erfüllen. Babylonier und Aegpptier
erreichen in der den Völkern des Heidenthumö eigenthümlichen, die Kräfte
des Volkes auszehrenden und dessen Untergang herbeiführenden Einseitig¬
keit hohe Stufen äußerer Wohlfahrt, wie es eine fernere und dunklere
Kunde auch von den Bewohnern der Ebenen am Orus und am Jarartes,
am Indus und am Ganges, am gelben und am blauen Flusse meldet. Da¬
durch werden ihre Länder Ziel der Wanderung und Eroberung für Völker
der Gebirge und der Steppen, die nach dem Grade der ihnen eigenen Fä¬
higkeit und Empfänglichkeit für längere oder kürzere Zeit neue Ord¬
nungen der Dinge gründen. So erscheinen Assyrier, Meder, Perser so
von Außen in den Kreis jenes ältesten Völkerlebens eindringend, scythi-
Kiesel, Weltgeschichte, l. Z