I
36 Gang und Gliederung der vorchristlichen Geschichte.
griechischen und halbgriechischen Staaten dieses Zeitraumes in Berüh¬
rung bringt. Die Verflechtung der Geschicke dieser Staaten wird eine
mannigfachere, als bisher die größeren Staaten zeigten und auf keinen
einzelnen Punkt zieht sich die bewegende Kraft zusammen. Dieser Um¬
stand, verbunden mit einer der griechischen Sitte und Sprache geworde¬
nen größeren Ausbreitung, schafft eine Art von Staatensystem, mit dem
auch die bedeutendste der dem alten Griechenland westwärts gelegenen
griechischen Gründungen, der syrakusanische Staat, in Berührung zu
kommen nicht vermeiden kann. Alle Glieder dieses Systems enden mit
dem Aufgehen in das römische Reich und ein gleiches Schicksal hat der
aus dem semitischen Theile Asiens im Westen gepflanzte Staat von Car-
thago, der einer Berührung mit jenem griechischen Staatensystem nur
entgeht, um, während sein Mutterland aus persischen Händen in grie¬
chische und aus griechischen Ln römische übergeht, dem römischen Staate
unmittelbar anheimzufallen. Auch die Geschichte der zu diesem Kreise
gehörigen Staaten kann in ihren Ausläufen die Gestalt von Episoden
derjenigen Geschichte, in welche sie ausläuft, der römischen, annehmen.
Von dem Hellenismus berührt, bedroht, beeinträchtigt und so in seine
Geschicke mit verflochten, aber nicht durch ihn vernichtet, wandelt das
Volk der Juden fort auf dem langen Wege des Kampfes mit den gegen
dasselbe andringenden heidnischen Irrthümern, dem Wege der stufenweiseu
Vorbereitung auf eine lichtere Zukunft und vollendet sein Geschick erst in
der römischen Zeit, nachdem es mit dem Hcideuthum in allen seinen
Formen gerungen hat.
9. Es folgt als vierter Abschnitt die Geschichte der Römer, einem
Theil der beiden ersten Abschnitte und dem ganzen dritten gleichzeitig
und darüber hinausreichend bis zur Auflösung des römischen Reiches,
welche zugleich der vorchristlichen und christlichen Geschichte angehört. Der
geschichtliche Schauplatz erreicht die weiteste Ausdehnung, die er in der
vorchristlichen Zeit hatte. Gleichen Schöpfergeist, wie die Griechen im
Gebiete des Wissens und der Kunst besaßen, auf dem Gebiete des staat¬
lichen Lebens entwickelnd, erweitert sich die römische Stadtgemeinde zu
einem Italien beherrschenden Volke, das darauf nicht allein die Gebiete
der bisherigen geschichtlichen Völker, sondern auch Länder, die dadurch
erst in den Bereich des geschichtlichen Lebens gezogen werden, unterwirft,
ihnen seine Sprache und eine seit seinen Fortschritten im Osten unter
griechischen Einflüssen ausgebildete Cultur mittheilt, ihre staatlichen Ver¬
hältnisse regelt und sie zu staatlichem Leben erzieht. Während also die
herrschenden Völker des Orients ihren Reichen nur eine äußere Einheit
zu geben vermochten, in den Kreisen des griechischen Lebens aber nur
eine auf Gemeinschaft geistigen Besitzes beruhende Einheit Dauer gewann,
gestaltete sich das römische Reich zu einer sowohl äußerlichen als inner-
1