machen, und doch drückt ihn noch hier und da eine Fessel von früherer Zeit her,
eine Gewohnheit aus dem Jünglingsalter, selbst ein Zwang von außen, der mit
gewonnener Erkenntniß und gereiftem Geiste im Widerspruche steht; auch will er
mit seiner innern Ueberzeugung ins Reine kommen, mit seinem Geiste Buch und
Rechnung halten. Wir können's ihm nicht erlassen zu sagen, daß er selbst Schuld
sei, wenn noch nicht Alles ist, wie es soll, wenn in der Grundanlage seines Baues
nicht genug Einheit und Symmetrie sich zeigt, wenn statt eines wohnlichen, selbst
großartigen Ganzen eine Menge Winkel und Flügel, Treppen und müßige Räume
seinen schönen Plast zersplittern, während der Nachbar links großartiger und fester
wohnt. Aber, in früher» Tagen aufs Fremde denkend, hat er es so geschehen lassen.
Denn immer hat der Deutsche sich selbst sein Haus gebauet und sein Los bereitet
und darum dasselbe auch so lang als möglich getragen. Darum hatte er auch den
Nachbar rechts, der, fremd in Sprache und Weise, ihm in sein Gehöfte hineingebaut,
nach langem Hader und nach dem Versprechen, sich fortan als ruhiger Nachbar zu
verhalten, auf dem uralt-eigenen Grunde gewähren lassen.
So stand nun der Deutsche in seinem Deutschland zwischen dem Franzosen,
Slaven und Ungar, zwischen dem Bruder Normann in Dänemark mit dessen wohl¬
bekannten Meeren und dem unzuverlässigen Italiener da, dessen Gauen er einst
beherrscht, aber seinem Scepter hatte entschlüpfen lassen. Einen magern Titel da¬
von hat er zur Erinnerung daran sich Vorbehalten: ein dürftiger Lohn für hundert
Züge und Kriege, für hunderttausend dafür geschlachtete Brüder, für Millionen
Geldes, die er darauf verwendet.
Sah nun der Deutsche von 1517 auf sein Gewonnenes hin, so fand er aller¬
dings ein großes und durch mühsamen Fleiß zu mannigfaltigem Ertrage gebrachtes
Land, angefüllt statt des bezwungenen Urwaldes und des schlangenreichen Sumpfes
mit fröhlichen Saatfeldern, mit umzäunten Wiesen, mit Dörfern, Klöstern, Bur¬
gen und Städten; er beschiffte seine Ströme und Meere, er durchgrub die Einge¬
weide seines Bodens nach edelm und unedelm Metall; er schuf den größten Theil
des Hausbedarfs sich noch immer selbst, aber er ließ auch schon Fremdes sich durch
Schiff und Saumroß bringen. Er hatte einen durch allgemeine Gesetze gesicherten
Besitzstand, einen Landfrieden, auf dessen Bruch schwere Acht und meist schnelle
Strafvollstreckung folgte; altes heimisches Recht, aber auch schon fremde Satzung
regelte seine Verhältnisse zum Fürsten wie zum Mitbürger und über das Mein
und Dein; so sprach das Schulzenrecht dem Bauer, das Statut oder Weichbild
dem Bürger der freien Stadt, das Vogtsrecht dem Land- oder Fürftenstädter, das
Lehenrecht dem Adel, das Kirchenrecht dem Geistlichen, die Reichssatzungen der
goldenen Bulle und des allgemeinen Landfriedens dem Fürsten. Dem Reichskam-
mergericht entsprach im Einzelstaate das Hosgericht, dem Fürstenaustrag der Man-
uenspruch, dem Reichstage ein landständischer Verein. An des Ganzen Spitze stand,
wie beim besonder» Staat der Fürst über seinen Vasallen, der König übe-r den
Fürsten oder der Kaiser, wenn er nicht wie ein Rudolph von Habsburg oder An¬
dere die Kaiserkrone vom Papste anzunehmen verschmähte. Der König bildete den
pyramidalischen Gipfel einer wunderlichen aristokratischen Consöderation, die ohne
Halt noch innen und ohne Macht nach außen war, wenn nicht eigne Geisteskraft
und eine tüchtige Hausmacht den König unterstützte. Nächst ihm stehen die 7 Kur¬
fürsten (wie die 7 Planeten um die Sonne, sagte man sonst), van denen 3 geist¬
lichen Standes und zugleich (sehr unpassend, wie es die neuere Zeit erkannt und
abgethan) Beherrscher nicht unbedeutender Länder sind. Dann kamen eine Stufe
niedriger die Geistlichen und weltlichen Fürsten und Fürfienmäßigen; dann die
Reichsritterschaft; endlich die freien Reichsstädte, mehr als loo an der Zahl, welche
mit jenen (doch mit Ausnahme der Reichsritterschaft) zusammen den Reichstag