Die Geschichte der Welt nach Christus
§. 78.
(62.)
I. Die römische und christliche Welt vom
Anfang des römischen Kaiserreichs bis zum
Anfang des Mittelalters.
1. Das römische Kaiserreich seit Augustus bis
Constantia.
1. Das Chriftenthum und seine beginnende Verbreitung.
2!?ar es einerseits der Heidenwelt gestattet, sich nach allen
Richtungen in Wissenschaft und Kunst, in Sitte und Politik aus¬
zuleben, damit sie gewahr würde, daß sie aus natürlicher Kraft
hinter das verlorne Geheimniß des Lebens nicht kommen und das
verlorne höchste Gut nicht finden könne, sie also ihre Erlösungs¬
bedürftigkeit desto tiefer empfinden möchte; und war allerdings in
den bessern Strebungen der Heiden ein Hindrängen zu dem
ihnen unbekannten Lichte nicht zu verkennen: so hatte sich
doch dabei zugleich die Unmöglichkeit herausgestellt, auf dem ein¬
geschlagenen Wege dahin zu gelangen. Hatte anderseits die Re¬
ligion Israelis mit ihrem Glauben an Einen persönlich-leben¬
digen Gott durch das lebenvollere Prophetenthum — diese Mittel¬
stufe zwischen Gesetz und Evangelium — wenigstens die Unmöglich¬
keit der Erfüllung des Gesetzes erkannt und weissagend auf dessen
Erfüllung im Evangelium hingewiesen: so hatte doch das nachher
aufgekommene Levitenthum des Judaismus den religiösen und sitt¬
lichen Halt, den das echte Prophetenthum gewährt hatte, durch die
Auflegung des strengsten Gesetzesjochs wieder geschwächt, darum
aber auch bei den liefern und redlichen Gemüthern im Volke der
Juden die Sehnsucht nach dem verheißenen „Messias" (wenn gleich
nur in mehr äußerlicher Auffassung desselben) gesteigert.
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