Full text: Erzählungen aus der Geschichte alter und neuer Zeit

Der Tugenbund 
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zugeftanden. Die Unterthanigkeit, in welcher viele Landbewohner noch 
schmachteten, und jede Art von Leibeigenschaft sollten ein Ende haben. 
So ward in Preußen Vieles umgestaltet, und zwar ohne alle Revo¬ 
lutions-Stürme. Während sich in der nächsten Umgebung des Königs 
die regste Thätigkeit entfaltete, wirkten nah und fern in andern Theilen 
der Monarchie die gesinnungstüchtigen Männer rastlos für den gleichen 
Zweck der Wiedererhebung des Volks und des Vaterlandes. In Kö¬ 
nigsberg ward eine Verbindung gegründet unter dem Namen des Tu¬ 
gendbundes. Der Minister Stein begünstigte die Stiftung deffelben; 
Hardenberg, Scharnhorst, Schön und andere für das Wohl des Va¬ 
terlandes erglühte Männer standen an der Spitze. Zweck des Bundes 
war: das Elend zu mildern, welches der Krieg hinterlassen hatte, die 
geistige und sittliche Kraft des Volkes zu beleben und — obgleich dies 
nicht bestimmt ausgesprochen wurde — in günstiger Zeit das Vaterland 
von dem schmachvollen Joche des Fremden zu befreien. Der Tugend-- 
bund suchte Nothleidende und Hülfsbedürstige zu unterstützen, für die 
Arbeitslosen neue Nahrungsquellen und Erwerbszweige ausfindig zu 
machen, den Unterricht und die Erziehung zu verbessern und Alles, was 
auf die Wohlfahrt des Volkes Bezug hatte, zu fördern. In der Thal, 
es war ein hoher Gedanke, welcher die Preußen durchdrang. Wenn es 
keine leere, frömmelnde Redensart ist, daß Tugend mehr Werth hat, 
als Reichthum; so hatten unsere Väter erkannt, was dem Vaterlande 
wahrhaft heilsam sei. Gold und Silber schleppten die Franzosen hin¬ 
weg, als Kriegs-Contribution, zu deren Entrichtung sich Friedrich Wil¬ 
helm III. bei dem Tilsiter Frieden hatte verstehen müssen; aber in die¬ 
sem geplünderten Lande wuchsen um so kräftiger die rechten Vaterlands- 
Tugenden empor. Durch das gemeinsame Unglück wurden die Völker 
mit ihren Fürsten, wurden die Fürsten und die Völker unter einander 
innig verschmolzen, wie des Feuers Gluth das spröde Metall zusam¬ 
menschmelzt. Das erkannte auch Napoleon, dem diese Erscheinungen 
nicht verborgen blieben. Er ahnete, welche Gefahr der Tugendbund ihm 
bringen könne, und veranlaßte den König, die Aufhebung desselben zu 
befehlen. Als in einer Sitzung der Bundesglieder zu Königsberg der 
Verein für aufgehoben erklärt war, trat am Schlüsse der Versammlung 
einer der Vorsteher auf und sprach: „Meine Herren! nach dem Willen 
unsers Königs ist der Verein seiner Form nach aufgelöst; nie werden 
wir uns mehr versammeln; unsere gemeinsame Thätigkeit hat aufge¬ 
hört. Ich hoffe, in unfern Herzen dauert unser Bund fort, und das 
nicht gegen den Willen unsers Monarchen. Arbeite jeder für sich zum 
großen Zwecke; wir werden einst bessere Zeiten sehen." Sie arbeiteten, 
durch gemeinsame Liebe zum Vaterlande, durch unverbrüchliche Treue
	        
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