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eine zweite so völlige Niederlage, daß auch nicht einer von ihnen als
Bote ihres Unglücks am Leben blieb. So erzählt Livius den Aus¬
gang der Sache, gewiß in der Weise, wie sich das Andenken daran
im Munde der Römer gestaltet hatte.
118. Pyrrhus, König von Epirus.
(Ludwig Stacke.)
1.
Schon hatten die Römer die mächtigsten Völker Italiens unter¬
jocht; schon standen Etrusker, Latiner, Campaner, Samniter und viele
andere Völkerschaften unter ihrer Botmäßigkeit, als sie in Kampf
gerieten mit der Stadt Tarent, die sich durch Seehandel, Reichtum
und Kunstfleiß zur höchsten Blüte emporgeschwungen hatte.
Zwischen Römern und Tarentinern bestand ein alter Vertrag,
der den Römern nicht gestattete, über das lacinische Vorgebirge in
Unteritalien hinauszusegeln. Als nun einst eine römische Flotte durch
einen Sturm über dieses Vorgebirge hinaus in den Hafen von Tarent
getrieben wurde, erklärten dies die Tarentiner für einen Friedens¬
bruch. Sie saßen gerade im Theater, von dem man die Aussicht auf
das Meer hatte, und bemerkten die herbeisegelnden Schiffe. Von
einem Schreier aufgehetzt, eilte die Menge bewaffnet zu Schiffe und
machte auf die unvorbereiteten römischen Fahrzeuge einen Angriff.
Von dem römischen Geschwader wurden vier Schiffe versenkt, der
Anführer und die Soldaten ermordet. Der Senat zu Rom forderte
für das ihnen angetane Unrecht Genugtuung. Die Gesandten wurden
in das Theater vor das versammelte Volk geführt, das von Wein
und Übermut berauscht war. Mit Gelächter wurden sie empfangen.
Postumius redete in griechischer Sprache; man hörte nicht aufseinen
Vortrag; aber so oft er einen Fehler gegen die Aussprache beging,
lachte das Volk laut auf und schalt ihn einen Barbaren. Ein gemeiner
Possenreißer drängte sich an ihn und besudelte sein Gewand. Postumius
zeigte dem Volke das beschmutzte Gewand, und neues Hohngelächter
erhob sich. Da sprach der Gesandte: „Lacht nur, solange ihr könnt; ihr
werdet lange genug weinen!" Darüber geriet das Volk in Unwillen, und
Postumius sagte: „Damit ihr euch noch mehr erzürnt, so wisset, daß
dies Gewand in Strömen eures Blut wird rein gewaschen werden."
2.
a. Kurze Zeit darauf begannen die Römer den Krieg. Da aber
die Tarentiner ein weichliches, unkriegerisches Volk waren, so riefen