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Die französische Revolution.
wirklichung erforderlichen Gesetze und Einrichtungen, zu denen man allmählich
schritt, führten in Kurzem die gänzliche Umgestaltung aller bestehenden Zustände
herbei. Die Kirche verlor ihr Vermögen und wurde der Staatsregierung un¬
tergeordnet; die Klöster und religiösen Orden wurden aufgehoben, die
Geistlichen vom Staat besoldet, die Bisthümer neu eingerichtet, Religionsfrei¬
heit gewährt. Die Priester sollten gleich den Staatsdienern die neue Verfas¬
sung beschwören; da aber der Papst es untersagte, so verweigerte die Mehrzahl
den Eid; dadurch wurde die französische Geistlichkeit in beeidigte und un¬
beeidigte Priester geschieden; die Letztern verloren ihre Stellen und hatten
Verfolgungen aller Art zu dulven, genossen aber das Vertrauen der Gläubigen
im Volke. Der Adel büßte nicht nur seine Vorrechte und den größten Theil
seiner Einkünfte ein, sondern er verlor auch die äußerliche Auszeichnung seines
Standes durch Abschaffung aller Titel, Wappen, Orden u. dergl. Und
damit die alten Zustände gründlich vernichtet würden, erhielt Frankreich eine
neue geographische Eintheilung in Kreise (Departement) und B e-
z irke (Arrondissements), ein neues Gerichtswesen mit Geschworenen
(Assisen), Gleichheit des Maßes, Gewichtes, Münzfußes u. dergl.
und endlich eine constituti onell e Verfassung, worin die Rechte des Kö¬
nigs über Gebühr beschränkt, und die Gesetzgebung einer einzigen Kam¬
mer mit allgemeinem Wahlrecht zugetheilt wurde.
§. 478. Der König und die National-Versammlung nach Paris.
Da der König zögerte, die einzelnen Beschlüsse der Versammlung als Gesetze
bekannt zu machen, so verbreitete nian abermals das Gerücht von einem beab¬
sichtigten Staatsstreiche. Dieses Gerücht gewann an Stärke, als das Regiment
Flandern nach Versailles berufen ward und bei einem Feste, welches die Leib¬
garde den Neuangekommenen Offtzieren bereitete, der König die Unvorsichtig¬
keit beging, mit der Königin und dem Dauphin sich während des Mahls in
den Speisesaal zu verfügen und dadurch der vom Wein erhitzten Versammlung
zu unklugen Reden, Toasten und Liedern Veranlassung zu geben. Diese Vor¬
gänge wurden durch geschäftige Zungen schnell in Paris bekannt und steigerten
die Aufregung des Volks, das schon ohnedieß durch den herrschenden Brod-
mangel gereizt war. Am 5. Oktober zogen daher unzählige Pöbelschaaren,
größtentheils Weiber, nach Versailles, um von dem König Abstellung des
Brodmangels und Verlegung der Residenz nach Paris zu verlangen. Der Kö¬
nig suchte sie anfangs durch eine begütigende Antwort zu beruhigen. Aber in
der Nacht wurde ein Flügel des Schlosses gestürmt, die Wache niedergemacht
und die Königin zur Flucht aus den bedrohten Räumen genöthigt; doch ver¬
hütete die Ankunft Lafayette's mit der Nationalgarde weiteres Unheil. Am an¬
dern Tag mußte der König einwilligen, mit seiner Familie unter dem Geleite
dieser schrecklichen Schaaren nach Paris zu reisen und seinen Wohnsitz in dem
seit vielen Jahren unbewohnten Tuilerienschloß zu nehmen. Bald folgte
auch die Nationalversammlung, für welche die in der Nähe des Schlosses ge¬
legene Reitschule hergerichtet wurde. Nun kam die Herrschaft immer mehr in
die Hände des untern Volks, das von zügellosen Z eitun g s sch rei bern und
Volksführern in steter Aufregung erhalten und zum Haß gegen den Hof und
die „Aristokraten" aufgestachelt wurde. Darunter zeichnete sich „der Volks¬
freund" des frechen Arztes Marat aus Neuchâtel durch Heftigkeit aus. Auch
die demokratischen Vereine (Clubs), die mit jedem Tag an Bedeutung und
Umfang zunahmen, wirkten im Sinne der Revolution. Besonders hat der
Jakobinerclub, der in allen Städten Frankreichs Zweigvereine besaß, eine
weltgeschichtliche Bedeutung erlangt. Die Mitglieder, welche im folgenden