Full text: Neue Geschichte (Theil 3)

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zu bekommen, und stellte dem Sultan vor, daß ja Leopold nicht zu einem 
doppelten Kriege gerüstet sei. Und so war es auch wirklich; denn er konnte 
den 200,000 Türken, die nun herbeizogen, kaum 30,000 Mann entgegenstellen. 
Darum bat er die deutschen Fürsten und den tapfern König von Polen, 
Johann Sobieski (1673 — 1696) um Hülfe, und diese wurde ihm auch 
dies Mal schneller zu Theil als sonst; ohne sie wäre er verloren gewesen. 
Im Frühjahre 1683 rückten die Türken in Ungarn vor, und ohne sich, wie 
sie sonst pstegten, mit den Festungen dieses Landes aufzuhalten, gingen sie 
schnell ans Oestreich los. Die Bestürzung in Wien war gränzenlos. Mit 
Mühe und Gefahr rettete sich der Kaiser mit seinem Hofe nach Linz, verfolgt 
von den Verwünschungen der Wiener, daß er erst durch seine thörichten Ma߬ 
regeln den Krieg angestiftet habe, und nun seine Unterthanen im Stich lasse. 
Wien wäre auch nicht zu retten gewesen, wenn sich nicht die raubsüchtigen 
Türken zwei Wochen lang mit Plünderung der Umgegend verweilt, und da¬ 
durch dem Herzog Karl von Lothringen, dem Leopold den Oberbefehl 
über sein Heer übergab, Zeit gelassen hätten, 12,000 Mann hineinzuwerfen. 
Dann zog er sich mit dem Hauptheere nach Mähren, weil er noch zu schwach 
war, um dem Andränge der Feinde zu widerstehen. 
Am 14. Juli zeigten die aufsteigenden Staubwolken den ängstlich har¬ 
renden Wienern, daß das Türkenheer anrückte. Kara Mustapha schlug sein 
prächtiges Lager aus, welches in einem Umfange von 6 Stunden die Stadt 
umgab. Schon nach zwei Tagen begannen die Kanonen zu donneru, und die 
Stadt, die keine sehr starke Befestigung hatte, wurde mit Macht angegriffen. 
Zum Glück machten die unwissenden Türken den Angriff gerade von der 
Seite, wo sie am festesten war, weil ihnen der König von Frankreich den 
Angriffsplan zugeschickt hatte. Die Kanonen der Türken machten ein so 
fürchterliches Feuer, daß die Erde bebte, und die Mauern wankten; aber der 
Muth der Wiener wankte nicht. Sie hatten an dem Grafen Rüdiger von 
Stahre mberg einen Befehlshaber, wie sie ihn für solche gefahrvolle Zeiten 
bedurften. Sein Eifer wurde von den Einwohnern trefflich unterstützt. 
Bürger, Kaufleute und Studenten boten ihre Hülfe dar, griffen zu den 
Waffen, und was die Türken den Tag über zerschossen, das stellten jene des 
Nachts, so gut wie es in der Schnelligkeit möglich war, wieder her. Den¬ 
noch wuchs die Gefahr von Tage zu Tage; immer wüthender drangen die 
Türken gegen die Mauern an; während sie mit einem Hagel von Kanonen¬ 
kugeln die Stadt überschütteten, wühlten sie unten die Erde auf, legten Mi¬ 
nen an, und sprengten die Festungswerke in die Luft. Zu Ende des Augusts 
hatten sie schon den Stadtgraben eingenommen, und am 4. September flog 
eine Mine mit so fürchterlichem Krachen auf, daß die Fenster in der Stadt 
zersprangen, und die Häuser bebten. Wirklich war auch die Burgbastei zum 
Theil in die Luft geflogen und eine große Bresche entstanden, durch welche 
nun die Türken unaufhörlich mit brüllendem Kriegsgeschrei in die Stadt zu 
dringen suchten. Noch thaten die Einwohner mannhaften Widerstand, aber 
täglich wurden ihrer weniger; überdies raffte eine hartnäckige Ruhr Viele hin. 
Täglich wurde der Sturm der Feinde wüthender, und doch kam immer noch 
kein Entsatz. Am 10. September sprang noch eine Mine, und nun mußte 
man jeden Augenblick einem neuen und vielleicht unwiderstehlichen Sturme
	        
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