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Gauverfassung. Das Reich zerfiel in Provinzen und Gaue, in 
denen vom Kaiser eingesetzte Grafen (comites) d. h. also kaiser¬ 
liche Beamte die Gerichtsbarkeit und Verwaltung sowie im Kriege 
Führung des Heerbanns hatten. Zwei kaiserliche Sendboten 
(misst dominici), ein weltlicher und ein geistlicher, immer nur auf ein 
Jahr bestellt, kontrollierten in den einzelnen Provinzen jährlich die 
Verwaltung der Grafen, nahmen Beschwerden und Berufungen ent¬ 
gegen und berichteten an den Kaiser. Die Gaue zerfielen in 
Hundertschaften (Centenae), an deren Spitze Centenarien (tun- 
(jini, skuldasii u. ä.) standen, die von den Sendboten unter Mitwirkung 
des Grafen und des Volkes eingesetzt wurden. Die Centenen um- 
fafsten Stadt- und Landgemeinden. 
Gerichtswesen. Die Gerichtsbarkeit teilte Karl: der Graf be- 
safs die sogenannte höhere Gerichtsbarkeit, d. h. die über Leib und 
Leben, Freiheit, Liegenschaften u. a., der Centenar die niedere, 
d. h. .die über geringfügige Sachen. Die Vasallen, Bischöfe, Äbte 
und Äbtissinnen standen unmittelbar unter dem Grafen; der Graf 
hielt dreimal im Jahre zu bestimmter Zeit und an hergebrachten 
Gerichtsstätten (Malberg, Malstätte) Gerichtstage (placita generalia, 
Gaugerichte) ab, auf denen alle Freien (jedoch ohne Waffen) zu er¬ 
scheinen verpflichtet waren. In der Zwischenzeit hielt der Graf 
selbst oder durch seine Unterbeamten (Centenare) in den Hundert¬ 
schaften kleinere, vorher angesagte Gerichtssitzungen (placita 
minora, gebotene Thinge) ab. 
Die urteilenden Beisitzer des Gerichts (scabini — Schöffen) wurden 
nicht wie früher von dem Grafen, sondern von den Sendgrafen 
ein für alle Mal für den einzelnen Gau bestellt und zwar aus ‘gottes- 
fürchtigen und wahrheitsliebenden Männern’, deren Listen der Kaiser 
selbst vorgelegt haben wollte. 
Immunitäten. Von der Gewalt des Grafen waren zum Teil be¬ 
freit die königlichen Güter, die Besitzungen der Geistlich¬ 
keit und des Adels: daher Immunitäten. Ihre Inhaber hatten 
über die auf ihren Besitzungen wohnenden Freien wie Un¬ 
freien, die sog. Hintersassen, eigene Gerichtsbarkeit, die sie 
durch einen Advocatus ^Vogt) ausübten, bei dessen Bestellung 
die Sendgrafen mitwirkten. An den Advocaten hatten sich in 
Streitigkeiten auch Dritte behufs gütlichen Ausgleichs zuerst zu 
wenden; wenn dieser nichts fruchtete, vertrat der Advocatus die 
Hintersassen vor dem Grafengericht. Der Graf und seine Beamten 
durften die Immunitäten nicht betreten. — Aus den Immunitäten 
entwickelten sich mit der Zeit z. t. die zahlreichen selbständigen 
Reichsfürstentümer (vgl. u. zu 1024). 
Eine einheitliche Verwaltung erfolgte durch Eeichsgesetze (Ca- 
pitularien), die der Kaiser teils mit dem Reichstag beschlofs, teils 
aus eigener Machtvollkommenheit erliefs; später wurden sie (z. B. 
■877 durch den Abt Ansegisus) gesammelt. Andrerseits liefs Karl 
die Volksrechte {leges) der Sachsen, der Chamaven (eines fränki¬ 
schen Stammes im Hamalande an der Yssel), der Friesen und 
Thüringer aufzeichnen, neben denen aber Gewohnheitsrecht 
galt. 
Heerwesen. Zum Heerdienst war jeder Freie verpflichtet, doch 
wurden später die Ärmsten in der Weise davon befreit, dafs mehrere 
zusammen einen Mann ausrüsten mufsten. — Um der drückenden 
Last des Kriegsdienstes zu entgehen, stellten sich aber viele Freie in 
den Schutz mächtigerer weltlicher oder geistlicher Herren (seniores),!) 
auf welche dann die Stellung von Mannschaften zum Heerdienst 
*) Aus senior das franz. seigneur.
	        
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