fullscreen: Abriß der Allgemeinen Erdkunde, Erdkundliches Lesebuch (H. 4)

130 II. Erdkundliches tesebuch. 
9. April. Heute früh machte ich einen Ausflug uach dem Hwanghö, der in 
seinem neuen Bett 6 km von Tfi-nan-fu fließt. Das Dorf Lo-kou, 
wo ich ihn erreichte, ist der Schiffahrtsplatz für diese Stadt und besteht 
wesentlich aus großen, soliden Häusern reicher Kaufleute und Spediteure. 
Der Ort hat dadurch einen substantiellen Charakter, und Tsi-nan-fu er- 
scheint ihm gegenüber als ein großer Kleinhandelsplatz. Der Hwanghö 
ist hier ein nngefähr 250 m breiter Strom mit gelbem, sedimentreichem 
Wasser. Die Strömung beträgt etwa 21f2 Knoten.^ Die Ufer stehen 
rund 7 in über dem jetzigen Wasserniveau; bei Hochwasser soll der Fluß das 
ganze Bett erfüllen und zuweilen seine Ufer überschreiten. Die größte 
Überschwemmung war vor mehr als zehn Jahren, eine kleinere vor drei 
Jahren. Ich sah ein ganz neu erbantes Dorf auf erhöhten! Grund, 
3 lmi vom Fluß abliegend, und hörte, daß die Bewohner sich aus dem über- 
schwemmten Grund dorthin geflüchtet hatten. Es lagen hier viele Fluß- 
schiffe, keine einzige Dschunke. Diese Flußschiffe fahren angeblich noch 
500 Ii2 weiter stromabwärts bis Tie-mönn-kwan, wo die Waren auf Seeschiffe 
umgeladen werden. Die Lente sagten, der Strom bei Lo-kön sei tief und 
behalte die gleiche Tiefe bis Tie-mönn-kwann, was freilich mit den Schiff- 
fahrtsverhältnissen nicht stimmt. Der Hwangho steht mit dem Großen 
Kanal nach N. und S. in Verbindung, und die Schiffahrt auf diesem 
soll bis Tientsin offen sein. 
Die Ebene bei Tsi-nan-fn ist sehr fruchtbar. Sie besteht aus fein- 
geschichtetein Alluvium von trocknem und lockerem, glimmerigem Lehm. 
Sie ist ein wahrer Garten: die Saaten stehen üppig, Gemüse und Obstbau 
blühen, soweit man davon in China sprechen kann. 
Sehr merkwürdig war ein scheinbar vertrocknetes Wasserbett von 
120 m Breite. Der Fußsteig führte am Rande hin, und es war ver- 
lockend, aus dem Stanb ans den scheinbar harten Grund zu gehen. Der 
Führer warnte uns, ihn zu betreten, da wir darin versinken würden. Es 
klang absurd; aber er hatte es kaum gesagt, so sah ich schon Splingaert 3 
neben mir einsinken und mußte ihn herausreißen. 
1 Die an der Loggleine befestigten Erkennungsmarken, mit deren Hilfe man 
beim Ablauf der Leine die Schnelligkeit des Schiffes feststellt. 2l/a Knoten würden 
nahezu 5 km in der Stunde sein; etwas rascher geht der Rhein bei niedrigem Mittel- 
wasser an Kehl bei Straßburg vorüber. — 2 10 Ii — 1 Stunde Weges, d.h. ans 
schwierigem Gelände eine kürzere Strecke als auf leichtem, im Durchschnitt etwa 11i —1/2 km. 
— 3 Ein junger belgischer Vlaeme, der bereits einige Jahre in der Mongolei und 
in China weilte und geläufig chinesisch sprach. Seit der Schantungreise, bei der er 
zum ersten Male v. Richthofen begleitet, blieb er bei ihm. Später heiratete er eine 
Chinesin, trat in den Staatsdienst und brachte es zu einflußreichen Stellungen.
	        
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