472
XI. Die Römer.
Zum Behufe dieser umfassenden Thätigkeit war dem Oberpriester (?on-
tifex Maximus) ein genaues Verzeichniß aller zur Verehrung der
Götter angeordneten heiligen Handlungen übergeben worden, worin aus¬
führlich erläutert war, an welchen Tagen, in welchen Tempeln, mit
welchen Gebräuchen die Opfer dargebracht, und ans welchen Mitteln
der Aufwand für diesen Zweck bestritten werden sollte. Also nicht nur
die Bet-, Buß- und Dankfeste, welche von Seiten des Staates ange-
ordnct waren, die Spiele, Feste und feierlichen Handlungen, welche die
Gesammtheit des Volkes beging, sondern auch die Gottesverehrung der
Geschlechter und Familien war unter die Obhut der Pontifices gestellt.
Sie deuteten die göttliche Offenbarung, sie legten die Gesetze über die
Verehrung der Götter aus, sie lös'ten alle Zweifel, welche in Sachen
des Glaubens die Gewissen beschweren mochten. Daher sie auch rich¬
terliche Befugnisse hatten und ein Strafamt übten. Denn alle Strei¬
tigkeiten der Bürger, Staatsbeamten und Priester, welche das Gebiet
der Religion berührten, werden durch sie geschlichtet; ihre Entscheidung
war nicht gebunden an geschriebene Gesetze, sondern sie richteten nach
bestem Wissen und Gewissen und waren Niemand verantwortlich für
ihren Spruch. Außerdem hatten sie die Verpflichtung, alles Bedeutende
und Bemerkenswerthe, was ihren Geschäftskreis berührte, sorgfältig auf¬
zuzeichnen, woraus die Oornrnentarii Pontificum entstanden. Endlich
war es auch der Oberpriester, welcher das Andenken der Thaten und
Schicksale des römischen Volkes auf die Nachwelt brachte. Denn in
seinem Hause war eine weiße Tafel ausgestellt, auf welcher nicht nur
die Namen der Magistrate, sondern alle denkwürdigen Ereignisse des
Jahres ausgezeichnet waren, Krieg, Pestilenz, Theurung, Feuer- und
Wassernoth, Und was von Wundern und Zeichen gemeldet war. Diese
kurzen Berichte standen Jedermann zur Einsicht offen und sind der An¬
fang römischer Geschichtschreibung geworden.
Mit den Befugnissen der Pontifices stand in enger Verbindung die
neue Jahreseintheilung, welche dem Numa zugeschrieben wird. Unter
Romulus war, wie es scheint, ein zehnmonatliches Sonnenjahr von 304
Tagen bei den Römern, wie auch bei andern italischen Völkern in
Uebung gewesen. Dabei war durchaus keine Rücksicht auf das Vcr-
hältniß des Sonnenjahrs zum Umlauf des Mondes genommen und
dadurch war Verwirrung entstanden. Numa hat daher ein Monden-
jahr von 12 Monaten oder 355 Tagen eingeführt, dessen Verhältniß
zum Sonnenjahr genau bestimmt, durch Schaltmonate von 22 Tagen,
die regelmäßig alle zwei Jahre eintreten sollten, das Fehlende ergänzt,
so daß nach einem Cyklus von 24 Jahren die bürgerliche Zeitrechnung
in vollkommene Uebereinstimmung mit dem Umlauf der Sonne gebracht
würde. Dabei hatte Numa auch den Anfang des Jahres verändert.
Denn während früher der Monat März, zu Ehren des Kriegsgottes
und Stammvaters des römischen Volks, die Reihe der Monde begann,
hatte er den Januarius an die Spitze gestellt, wie es heißt, zu Ehren
des Janus, welcher, ein alter Herrscher des Landes, oder eine Gottheit,