Full text: Die Geschichte des Alterthums (Bd. 1)

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IY. Die Inder. 
überaus alte Ueberzeugung, daß die menschliche Thätigkeit eine erbliche 
sein müsse, und die daraus hervortretende Verbindung derer, welche die¬ 
selbe Thatigkeit haben, zu socialen Vereinen. Je nach der Werthschützung 
dieser Thatigkeit standen die ihnen sich widmenden Vereine in höherer 
oder geringerer Achtung, und bildeten so gleichsam eine Stufenleiter, 
in welcher sich die ganze indische Bevölkerung einander über- oder unter¬ 
ordnete. 
Sobald ein Volk ans demjenigen Zustande hervortrat, wo jeder 
alles, was zur Sicherheit und Gemächlichkeit seines Lebens nothwendig 
oder dienlich ist, selbst verrichtete, und einzelne aus demselben sich be¬ 
sonderen Thätigkeitcn widmeten, lag der Gedanke sehr nahe, daß der¬ 
jenige eine Thatigkeit am besten üben würde, welcher sie von Jugend 
auf schon von seinem Vater und nächsten Verwandten üben sähe und 
gleichsam in ihr erzogen würde. 
Als der arische Volksstamm (sowohl die östlichen als westlichen, das 
Sanskrit- und das Zendvolk) sich von ihren Sprachverwandten und 
einst mit ihnen vereinigten Brüdern trennten, gab es noch keine aus¬ 
geprägte Verfassung, welche sich auf diesen Grundsatz stützte, keine so¬ 
genannte Kastenverfassung (von einem portugiesischen Worte easta). Zur 
Zeit, wo die ganze arische Volksmasse ein vereinigtes Volk bildete, scheint 
der Name des eigentlichen Volkes, seiner Hauptmasse, arjas, die Ehr¬ 
würdigen, gewesen zu sein. Aus dieser Masse hatten sich jedoch schon 
die kshatträs d. h. die herrschenden ausgeschicden, deren Namen in 
entsprechender Form und im Allgemeinen mit derselben Bedeutung, wie 
im Sanskrit, auch bei den Zendvölkern erscheint. Sie bildeten damals 
wahrscheinlich die Elaste der kleinen Häuptlinge, der nol>il68. Wer ihre 
Untergebenen waren, läßt sich natürlich nicht mit Gewißheit bestimmen. 
Doch macht es die Analogie der verwandten Völkerstümine und der 
natürliche Gang der Entwickelung von Staatseinrichtungeu bei Völkern, 
welche sich erobernd unter stammverschicdenen Völkern festsetzen, wahr¬ 
scheinlich, daß die Hauptmasse ihrer Untergebenen nicht aus den ver¬ 
wandten Freien, den arjas, Ehrwürdigen, bestand, sondern aus der 
im eroberten Lande Vorgefundenen und unterworfenen Bevölkerung. 
Diese letzteren mögen die Cvidräs gewesen sein, welche in der, jedoch 
erst in der Zeit nach der Trennung der östlichen und westlichen Arier 
festgcstellten indischen Kastenverfassung die vierte Kaste constituirten. 
Erst nach der Trennung der arischen Volksmasse scheinen sich auch 
die Priester zu einer Kaste abgeschlossen zu haben. So war denn eine 
Einteilung des indischen Volkes in vier Stände entstanden, von de¬ 
nen, den indischen heiligen Schriften gemäß, die Uralnnanas die erste 
Stelle Annahmen; die zweite die Kshatträs; die dritte die eigentlich 
arjas genannte Masse, welche aber auch als Haupttheil des Volkes 
den allgemeinen Namen für Mensch, vi§ (im Plural vig-as), führten.; 
die vierte bildeten ursprünglich die Unterworfenen, zu denen aber in 
älteren Zeiten, ehe die Kastenverfassnug noch streng abgeschlossen war, 
auch die verarmten oder sonst hcrabgekommenen arjas gedrängt wurden.
	        
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