Full text: Das Mittelalter (Theil 2)

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ben hinaus bis in die Nähe des Thrones Gottes. Diesen Thron trug der 
Engel Asrafel, der so groß war als der ganze Raum vom Morgen bis zum 
Abend. Er hatte eine Million Häupter, jedes Haupt hatte eine Million Mün¬ 
der, jeder Mund eine Million Zungen, jede Zunge redete eine Million Spra¬ 
chen, mit welchen er Tag und Nacht das Lob Gottes unaufhörlich pries. Der 
Thron Gottes wie jedes Thor der sieben Himmel hatte die Aufschrift: „Es ist 
kein Gott als Gott und Muhamed ist sein Prophet!" 
Muhamed schwindelte, aber eine Stimme rief: „Tritt herzu, und nähere 
dich dem herrlichen und allmächtigen Gott!" Er näherte sich und hielt eine 
lange Unterredung mit Gott. Unaussprechliche Süßigkeit und Wonne durch¬ 
drang sein Inneres; er empsing den vollkommensten Unterricht von dem Willen 
Gottes und die Verheißung, daß sein Name nie von dem Namen Gottes ge¬ 
trennt werden sollte. Die Anzahl der Gebete, welche jeder Araber täglich 
verrichten sollte, bestimmte Gott auf fünf. Als die Unterredung geendet war, 
kehrte Muhamed zurück. Gabriel führte ihn auf dem vorigen Wege und wie¬ 
der nach Jerusalem zurück. Dort bestieg Muhamed abermals den Grauschim¬ 
mel und langte noch in derselben Nacht in Mekka wieder an. 
Diese kühne und ausschweifende Dichtung war wohl im Stande, aus die 
Sinnlichkeit eines phantasiereichen Volkes Eindruck zu machen; doch wurde sie 
anfangs verlacht und erst späterhin geglaubt. Abu-Bekr, der „getreue Zeuge," 
empfahl sie mit der Bemerkung, daß Alles wahr sein müsse, was der Gesandte 
Gottes berichte. 
5. 
Aber noch wichtiger war es, daß sich die Einwohner von Jathreb 
(Medina), die seit langer Zeit mit den Koreischiten in Freundschaft lebten, für 
Muhamed erklärten. Feierlich gelobten sie ihm durch ihre. Abgesandten, sie 
wollten ihn, wenn er verfolgt werden sollte, aufnehmen und auf's Aeußerste 
vertheidigen. Dagegen versprach er ihnen, sie niemals zu verlassen, und daß 
das Paradies ihr Lohn sein sollte, wenn sie in seinem Dienste umkonimen wür¬ 
den. So gewann er treue und muthige Anhänger und eine Zusiuchtstätte, 
wenn seine Vaterstadt ihn ausstieß. 
Wirklich traf das in Kurzem ein. Die Koreischiten, die sein wachsendes 
Ansehen bemerkten, verschworen sich auf's Neue gegen ihn; sein Tod ward be¬ 
schlossen. Dieß nöthigte ihn zur Flucht. In der Nacht des 16. Julius 622 
machte sich der Prophet auf. Seine Anhänger hatte er vorausgeschickt; der 
einzige Abu-Bekr begleitete ihn. Mit Mühe entkam Muhamed den Nachstellun¬ 
gen seiner Verfolger, und sechzehn Tage nach dem Anfänge seiner Flucht ge¬ 
langte er nach „Jathreb, das von nun an an Medina al Nabt" Stadt des 
Propheten genannt wurde. Hier hatten die Einwohner für sein Leben gezit¬ 
tert; doppelt groß war nun das Frohlocken über seinen Einzug. Neue Zu¬ 
sicherungen der Treue und Ehrfurcht begrüßten ihn und eben die Flucht, die 
ihn ganz zu vernichten schien, führte ihn zur glänzendsten Periode seines Le¬ 
bens. Billig setzte daher sein zweiter Nachfolger, der Kalif Omar, fest, daß 
von dieser Flucht (Hedschra) die Muhamedaner ihre Zeitrechnung beginnen 
sollten. 
6. 
Von nun an gab Muhamed seiner Lehre mehr Umfang und Bestimmtheit. 
Zu dem Hauplgrundsatz, den er gleich anfangs aufgestellt hatte: „ES ist nur
	        
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