Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst. 43
Stelle der edlen Ruhe und maßvollen Schönheit trat gewaltsame Über-
treibung der Formen, eine Überbürdung der Dekoration; es entwickelte
sich der Barockstil, der bald immer mehr entartete, alle festen Formen
auflöste und besonders an den Innenwänden, Gesimsen, Treppen, Möbeln
und Geräten mit Muschelformen, -^-förmigen Linien und Blumen-
gewindelt ein willkürliches Spiel trieb. Dieser Rokokostil erlangte erst
unter Ludwig XV. seine höchste Blüte und auch außerhalb Frankreichs
die unbedingte Herrschaft. (Fig. 1 u. 2.) Nachahmungen des berühmten
Parks von Versailles mit seinen steifen, zugestutzten und unnatürlichen
Laubgängen, seinen Bildsäulen und Springbrunnen finden sich in Deutsch¬
land (Sanssouci, Herrenhausen, Schönbrunn) noch heute.
Unter Ludwig XIV., den die Franzosen „den Großen" nennen, er-
langte die französische Sprache jene Gewandtheit und Klarheit, welche
sie zur Weltsprache erhoben, und die Dichtkunst erlebte ihr goldenes
Zeitalter. Corneille und Racine schufen vorzügliche Trauerspiele (Cid, Die
Horatier; Iphigenie in Aulis, Athalie), Moliere zahlreiche Lustspiele (Der
Geizhals, Der Scheinheilige, Der Menschenfeind), La Fontaine anmutige
Fabeln, und Fenelon lieferte in seinem „Telemach" einen Fürstenspiegel.
§ 8. Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst.
1. Seine Jugend und ersten Hlegiernngshandl'ungen.
a. Seine Jugend. Friedrich Wilhelm, der einzige Sohn Georg
Wilhelms, war 1620 aus dem Schlosse zu Köln an der Spree geboren.
Schon seine Wiege war mit Kriegslärm umgeben; der Sicherheit wegen
mußte der Prinz einen Teil seiner Jugendjahre in der Festung Küstrin
zubringen. Einen tiefen Eindruck machte es auf ihn, als er der Leiche
Gustav Adolfs, den er erst vor einem Jahre in der Fülle der Gesund¬
heit und Macht gesehen, das Geleit zur Ostseeküste gab. Von edlen
Männern still erzogen, aber durch den Ernst der Zeit über seine Jahre
hinaus gereift, ward der Kurprinz 1634 nach Holland auf die Unitier-
sität Lehden gesandt, und sein vierjähriger Aufenthalt daselbst sollte für
sein ganzes Leben von entscheidender Bedeutung werden; denn nicht nur
erweiterte er dort in fleißiger Arbeit feine Kenntnisse und stärkte in der
Verführung des üppigen Hoflebens im Haag seine Willenskraft, sondern
er fand auch für seine zukünftige Wirksamkeit als Landesvater und als
Feldherr die besten Vorbilder. Schon siebzig Jahre leistete das kleine
Holland dem damals noch großen und mächtigen spanischen Reiche er¬
folgreichen Widerstand, und Friedrich Wilhelm konnte sein Feld Herrntalent
in dem Feldlager Heinrichs von Oranien aufs beste entwickeln;
Handel und Gewerbe, Acker- und Gartenbau standen in Blüte, während
damals in Deutschland alles daniederlag; die berühmte Universität Lehden