XX
Die Glaubensspaltnng und der dreissigjähriZe Krieg.
Äöenn Lutl,er kurze Zeit vor seinem Ende, bei der Erinnerung an
seine Stellung zu Worms und seine damalige Festigkeit, selbst bezwei¬
felt, ob er wobl jetzt auci) noch so mutbig seyn möchte, so ist dies ein
sehr wahres und aufrichtiges Bekenntniß der menschlichen Schwäche.
Denn eben dieses seltene Zusammentreffen von Einsicht und Kraft, von
Muth und Glück, von eigenem Willen und von Umständen, deren Be¬
herrschung außer dem Bereich des Menschen liegen, macht den großen,
berühmten Mann, und erhebt eine That aus der Reihe der übrigen
heraus zum welthistorischen Ereigniß. Eben so giebt es in allen Zeiten
Ereignisse, die auf kurze Zeit den menschlichen Eharacter im schönsten
Lichte erscheinen lassen, während die nachher folgenden Begebenheiten,
vbschon aus der reinsten Quelle geflossen, durch den Einfluß der Zeiten
getrübt alle möglichen Farben annehmen. Wie rein und erhaben war
jener erste Aufschwung des Protestantismus in Deutschland, wie fern
von Eigennutz, Habsucht, und andern schmutzigen Leidenschaften! Wie
mancherlei unreine Motive entstellten später diesen reinen Strom! Schon
als der furchtbare Aufstand der schwäbischen, fränkischen und thüringi¬
schen Bauern, der armen Leute, eine Anwendung des ChristenthumS
auf ihre Menschenrechte verlangte (1525), mußte mit blutiger Grau¬
samkeit die Ruhe hergestellt werden; und wenn auch bis nach Luthers
Tode die Fürsten Deutschlands einander nicht um des Glaubens willen
bekriegten, so sah man doch seit dem Parteinamen Protestanten (1529)
und seit der Uebergabe der Augsburgischen Eonfession (1530) eine förm¬
liche Trennung des Reichs in zwei Theile. Von der unsinnigen Ver¬
irrung der Wiedertäufer (1535) wandten freilich beide gleichmäßig den
Blick ab und dämpften die Greuel mit andern Greueln; indessen gab
auch ihnen selbst die Religion zu eigenmächtigen Handlungen, wie die
Vertreibung des Herzogs Heinrich von Braunschweig, wenigstens den
Anlaß, wenn auch nicht den einzigen Vorwand; als aber nun, nachdem
Kaiser Karl seiner Meinung nach alles Mögliche gethan, und sogar
den Widerwillen des Papsts gegen ein Eoncil besiegt hatte, der schmal-
kaldische Krieg ausbrach (1546), wer könnte sagen, daß damals der
Kampf noch ein reiner Glaubenskampf gewesen wäre! Und wie traurig