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B. Zur Länderkunde,
Schantung, biegen müssen. Der unmittelbare Abstand zwischen Schanghai und Port
Arthur beträgt 534 Sm, über Tsingtau dagegen 661 Sm., also nur 108 Sm. oder
10 Fahrtstunden mehr. Ties ist eine fast nur halb so große Abweichung vom geraden
Wege als für den der Distanz Schanghai—Nintschwang (684 Sm.) gleichen Weg von
London nach Christiania der Besuch von Hamburg ist, der 221 Sm. mehr ausmacht.
Für den Verkehr von Japan zum Golf von Tschili endlich liegt es ähnlich, das Plus
von Nagasaki über Tsingtau nach Port Arthur über die direkte Entfernung dorthin
beträgt nur 207 Sm. Das sind alles Strecken, die für die schnelle Schiffahrt von
heute keine grundlegende Bedeutung haben.
Ziehen wir dies in Rechnung, so tritt hervor, daß Tsingtau für die gesamten
Uferländer des Gelben Meeres eine überraschend zentrale Verkehrslage
hat. Nehmen wir eine Strecke von etwa 550 Km in den Zirkel, so berührt ein damit um
Tsingtau beschriebener Kreis fast genau zugleich Schanghai, Tschemnlpo, Nintschwang
und Peking, d. h. die großen marinen Eingangspforten in das mittlere China, Korea
und die Mandschurei, sowie das alte Macht-und Kulturzentrum des chinesischen Reiches.
Somit ist die geographische Lage unserer Kolonie in der Nähe der ostasiatischen
Weltverkehrsstraße und zwischen dem alten Riesenreich China, der neuen Großmacht
Japan und den unter dem Einfluß von letzterem neuerdiugs sich entwickelnden Ge-
bieten von Korea, Liautnng und der Mandschurei, soweit die rein maritime Position
in Betracht kommt, entschieden bedeutungsvoll.
Doch solche Position und solche Abstände allein haben zunächst nur einen be-
schränkten Wert. Sind sie auch für einen Stützpunkt der deutschen Kriegsmarine in
diesen Gegenden schon an sich von Wichtigkeit, so muß für den Handel, um die durch
diese Lage gegebenen Möglichkeiten wirklich zur Entfaltung gelangen zu lassen, erst
noch hinzutreten, daß der Hafen jene Anziehungskräfte besitzt oder zu gewinnen ver-
mag, die, wie die erwähnten Welthäfen Marseille und Genua, den Verkehr auf sich
lenken. Das aber hängt von seinen besonderen geographischen Beziehungen
zu dem Hinterland, zu China, ab. Diese sind für die Beurteilung der Weltlage
unseres Gebietes am allerwichtigsten.
Niemand hat die geographische Lage der Kiantschoubucht in bezug auf China
in kühneren und klareren Zügen hervorgehoben als der geistige Urheber unserer dorti-
gen Besitzergreifung, F. v. Richthofen; schon 1881 in seinem großen Werke „China",
hier aber noch im wesentlichen mit Beschränkung auf die Beziehungen zu Schantnng;
weit umfassender in der kleinen, unmittelbar nach der Besetzung durch die Deutschen
erschienenen Schrift „Kiautschou. Seine Weltstellung und voraussichtliche Bedeutung"
und endlich in dem nach der Besitzergreifung geschriebenen Buche „Schantung und
Kiautschou".
Es ist davou auszugehen, daß das Land, an dessen Rande unser Besitz liegt, China,
die dichteste Menschenansammlung in sich schließt, die der Erdball kennt, eine Bevöl-
kerung dazu von uralter, hoher Kultur und höchst entwicklungsfähigen Eigenschaften
und einen Boden, der noch uuermeffeue natürliche Schätze birgt. Dieses Land ist
durch die Formation Jnnerasiens darauf angewiesen, seinen wesentlichsten Anteil am
Weltverkehr seewärts zu suchen, so daß also günstig gelegene Häfen an seiner Küste
eine natürliche Anwartschaft auf eine bedeutende Entwicklung haben.
Mehrere Jahrhunderte hindurch war das im äußersten Süden gelegene Kanton
für das Ausland das einzige Seetor Chinas; seit dem „Opiumkriege" und der Er-
ösfnnng der ersten Vertragshäfen im Jahre 1842 ist auch die übrige Küste damit in
Wettbewerb getreten. Diese Seeküste Chinas läßt sich in zwei Abschnitte von sehr