Full text: Prosa aus Religion, Wissenschaft und Kunst (Band 2, [Schülerband])

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werten glänzenden Fortschritten der reinen und der angewandten Naturwissenschaften 
bestehen, für das geistige wie leibliche Wohlergehen, für die politische wie wirtschaftliche 
Entwicklung, ja, für das gesamte Kulturleben des Menschengeschlechts von so tiefgreifender 
und entscheidungsvoller Bedeutung geworden, daß alle anderen hierauf einwirkenden Ein¬ 
flüsse und Umstände an Wichtigkeit weit dagegen zurückstehen. Es hat die Herrschaft des 
Menschen über den Raum ein solches Maß erreicht und die gesamte Lebenstätigkeit der 
Menschen eine solche Steigerung erfahren, daß die schönste Blütezeit früherer Kultur 
dagegen wie ein Traumleben erscheint. 
Es muß aber hervorgehoben werden, daß mit dieser Gegenüberstellung nicht ohne 
weiteres für die Kultur der Neuzeit der Anspruch auf einen höheren Grad der Entwicklung 
erhoben werden kann, sondern daß dadurch zunächst nur die Tatsache beleuchtet wird, wie 
ganz anders geartet die Kultur unserer Zeit im Vergleich zu der Kultur aller früheren 
Zeiten ist. Es soll hier auch nicht die Frage erörtert werden, ob und in welchem Maße 
das Dasein der Menschen durch die gewaltige Umgestaltung der Lebensformen schöner 
und glücklicher geworden sei. Es soll unentschieden gelassen werden, ob der Schäfer, der 
unter dem Blasen der Schalmei seine Lämmer weidet, glücklicher ist als der Werkmann, 
der aus dem Hochofen das glühende Eisen abfließen läßt, ob der Fischer, der am 
murmelnden Bache die Forelle fängt, oder der Seemann, der mit fester Hand am Steuer 
das Schiff durch Sturm und Wogen lenkt, ob der Jäger, der auf Felsenpfaden der 
Gemse nachklettert, oder der Bergmann, der im engen Grubengange die Hacke schwingt, 
ob die Schnitterin, die sich die mit Blumenduft gewürzte Lust zufächelt, oder der Gelehrte, 
der die Luft in dem bis ans Unerträgliche gekühlten Kälteraum in flüssigen Zustand 
bringt oder in feste Kristalle verwandelt. 
Vor der Anstellung von Erwägungen solcher Art ist zunächst und vor allem eine 
volle und scharfe Darstellung des Tatbestandes erforderlich. 
Im Altertum und bis ins Mittelalter hinein verharrte der Mensch gegenüber der 
Statur, gegen die Naturkräfte und Naturereignisse im wesentlichen im Zustande der Ver¬ 
teidigung. Wenn er auch durch die Bodenbewirtschaftung und durch die Bautätigkeit in 
die Natur eingriff, so schmiegte er sich doch sonst in seiner ganzen Lebensweise wider¬ 
standslos den von der Natur gegebenen Verhältnissen an. Mit dem Verfall der alten 
Kultur wurde die auf die Natur umgestaltend einwirkende Tätigkeit immer geringer. 
Der Mensch begnügte sich immer mehr mit dem, was die Natur ihm ohne allzu große 
Anstrengungen bot. 
Doch nach dem Ablaufe des ersten Jahrtausends unserer Zeitrechnung, noch deut¬ 
licher hervortretend im 13. Jahrhundert, begannen neue Kräfte sich zu regen. Es be¬ 
gann ein neues Leben aus den Ruinen zu erblühen. Die in die Entwicklung der Kultur 
eingreifenden Germanen traten gegenüber der Natur erst beobachtend, dann angreifend 
auf. Sie erstrebten mit der Naturerkenntnis die Herrschaft über die Naturkräfte und 
Naturereignisse, die sie in der Tat in stets wachsendem Maße gewonnen haben. 
Der Übergang zu dem neuen Kulturleben geschah durch eine Reihe von Entdeckungen 
und Erfindungen, durch welche die menschliche Sinnestätigkeit eine außerordentliche Ver¬ 
schärfung und Vervollkommnung erhielt. 
Verfasser bespricht nun die Erfindung der Uhr und ihren Wert für Zeit- und Ortsbestimmungen, 
sodann den Kompaß, weiter die Brille, das Fernrohr und das Mikroskop, das Barometer und das 
Thermometer und die Fortschrrtte der Physik und Chemie. 
So sehr nun alle diese glänzenden, wunderbaren Erfindungen der Physik unser 
Kulturleben verfeinert und unserer Zeit ein vollständig neues Gepräge gegeben haben, so
	        
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