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ÍDi.S Königreich Frankreich. 
Kleider tragen sie, bis diese in Fetzen herabfallen. Die größten 
Verbrecher sind an ihre Bänke neben einander geschmiedet, die ihr 
nen zum Sitz, zur Lagerstatt, zur Aufbewahrung ersparter Bis¬ 
sen dienen, und von denen sie sich nur so weit entfernen können, 
als cs ihre Kette erlaubt. Im Kerker muffen sie arbeiten, ver¬ 
lassen ihn nie, athmen nie reine Luft, sehen die Sonne nie, und 
leben doch oft viele, lange Jahre hindurch. Ueber allen schwebt 
immer der Stock der Aufseher, und fallt beim kleinsten Versehen 
in unbarmherzigen Schlägen auf sie nieder. So sahen wir sie 
gezählt werden wie eine Heerde Vieh, und eingetrieben zu ihrem 
entsetzlichen Nachtlager — 6000 Menschen, die hier in verzweifeln¬ 
der Wuth ihre Tage verleben. Wenn nun einmal Flammen das 
Arsenal ergriffen, die Niegel, die Ketten sprengten, und nun die 
Einwohner der Stadt der Wuth dieser 6000 Verzweifelnden Preis 
gegeben wären! Der Gedanke ist einer der fürchterlichsten, und 
doch bei weitem nicht außer dem Gebiet der Möglichkeit." Von 
Toulon östlich kominen wir nach dem kleinen, aber wegen seiner 
schönen Lage und gesunden Luft berühmten Städtchen 
Hieres. „Näher an Hieres," sagt jene Reisende, „wird 
das ganze Land ein köstlicher Garten; Goldlack, Tazetten, Nar¬ 
zissen, tausend wunderschöne Blumen, die wir sorgsam pflegen 
müssen, bedecken die Wiesen und Felder; Balsamduft von La¬ 
vendel und unendlich vielen Kräutern erfüllt die Lufl; überall 
glänzen Hecken von wilden, einfachen Granaten, blühenden 
Centifolien, Myrthen, Oleander, Aloen und den schönsten Jas- 
minarten. Breitblättrigc Feigenbäume, hohe Granatbäume, 
Mandeln, Pinien, Cypressen, Lorbeerbäume, alle Arten der edel¬ 
sten Obstbäume beschatten die Straße. Kurz vor der Stadt öff¬ 
net sich eine herrliche Aussicht auf das Meer und über alle Gar¬ 
tenmauern ragen mit Früchten beladene Orangenbäume hervor. 
Hieres selbst liegt auf'einem steilen Felsen, und ist ein enges, 
schmutziges Nest, aber am Abhange des Berges sind sehr artige 
Wohnungen zur Aufnahme der Fremden erbaut. Unsere Wirthin 
führte unS eine Treppe hoch in ein Zimmer mit verschlossenen 
Jalousien, und da sie diese öffnete, standen wir alle sprachlos da 
vor überraschendem Entzücken» Der Abhang dcS Berges, auf dem 
das Haus steht, senkt sich sanft hinab bis ans Gestade des Mee¬ 
res, welches weit ausgebreitet vor uns lag, gekräuselt von kleinen, 
blürhenweißen Wellen. Gerad'e vor uns erhoben sich aus der 
Fluth, schwimmenden Gärten gleich, die drei mit Wäldern ge¬ 
krönten thierischen Inseln. Orangen- und Citronenbäume be¬ 
decken den ganzen Abhang des Ufers, vom Hause an, so weit 
das Auge reicht; berauschend stieg der Blüthenduft zu uns herauf, 
und tausend Nachtigallen flöteten im dunkeln, glänzenden Laube 
der von der Last schöner Früchte tief gesenkten Zweige. So ist cs 
in diesem glücklichen Lande das ganze Jahr hindurch; ewig Herr-
	        
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